Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
- Ach, Helenchen, wie nett, dich wiederzusehen, Allana freut sich toll auf dich - laß dich mal ansehen, du bist ganz die alte.“
„Die älter gewordene, meinst du“, lächelte Tante Helene.
„Ach was - und du hast genau dieselben Guckerchen, so wach und so neugierig und so voll Schabernack wie damals. So, hier wären wir - geben Sie mir die Tasche da, Sonja, nein, Heiko, schonen Sie Ihren Arm.“
Ich mochte so furchtbar gern diese englische Sitte, sich mit Vornamen anzureden. Es hat nichts mit dem vertraulichen „Du“ zu tun. Man kann in England sehr gut die Vornamen gebrauchen und doch unbedingt das Gefühl haben, daß man per Sie ist. Bei längerer Bekanntschaft gleitet man dann allmählich und „stufenlos“ rüber in eine Du-Freundschaft, die erst dann zum Ausdruck kommt, wenn man eine andere Sprache benutzt.
Wir hatten einen wunderbaren Tag.
Einen so schönen Zoo wie Taronga in Sydney gibt es bestimmt kein zweites Mal. Vom Zoogelände aus hatten wir einen prachtvollen Blick auf den Hafen. Heiko machte eine Aufnahme mit Löwen und Schiffen auf einem Bild! Mr. Little hatte uns angemeldet, das heißt, die Direktion des Zoos wußte, daß das Oberhaupt der Mary-Green-Stiftung kommen würde. Wir wurden von einer netten und freundlichen Dame geführt, sie wußte, daß wir vor allem die einheimischen Tiere sehen wollten. So ging es zu allererst zu einem kleinen Haus, das extra für uns geöffnet wurde. Den teuren Schatz, der sich da drin befand, für den das ganze Haus gebaut worden war, konnte man sonst nur zwei Stunden am Tag ehrfurchtsvoll beobachten und bewundern.
Der Schatz war ein Schnabeltier.
In der Mitte des Hauses war ein Glasbecken gebaut, und da residierte Ihre Hoheit. Es war ein einsames Weibchen - ihr Partner sei gestorben, erzählte unsere liebenswürdige Führerin, und es sei noch nicht gelungen, einen neuen zu kriegen.
Was für ein seltsames Tier! Es hatte einen Körper wie ein Otter, einen breiten Entenschnabel, es glitt wie ein Pinguin durchs Wasser. Auf einer Tafel war die Anlage des Baues veranschaulicht, da konnte man sehen, wie das Weibchen einen langen Gang tief in die Erde gräbt, da drin eine kleine Höhle anlegt, die mit weichem Laub ausgefüttert wird, und da legt sie ihre Eier. Die Jungen, die daraus schlüpfen, saugen dann bei der Mutter und kriegen mit der Zeit ein wunderbares, weiches Fell.
„Das Tier hat wirklich von jedem etwas!“ meinte ich. „Vom Fisch, Säugetier und Vogel!“
„Und außerdem auch von Schlangen“, ergänzte unsere Führerin.
„Es ist nämlich giftig! Eine Verletzung von einem Schnabeltier ist gar nicht ungefährlich!“
Das war mit Abstand das merkwürdigste und interessanteste Tier, das ich jemals gesehen hatte. Ich segnete diesen Zoo und alle guten Zoos. Wie kämen wir bloß dazu, so viele und seltsame Tiere zu sehen, wenn wir sie immer in der freien Natur suchen müßten?
Denselben Gedanken hatte ich in dem schönen, neu errichteten Nachttier-Haus. Wir gingen durch einen Gang, der allmählich dunkler wurde, so daß unsere Augen sich auf das sehr schwache Licht umstellen konnten. Und da drin, in der geheimnisvollen Dunkelheit, war eine ganze kleine Welt für sich. Die Welt der kleinen Tierchen, die nur in der Nacht wach sind - die in der Nacht laufen, springen, spielen, lieben und Nahrung suchen. Was gab es da für reizende Geschöpfe! Niedliche Springmäuse und gestreifte Hörnchen, kleine zarte Eulen, mollige Flughörnchen, die ganz still auf einem Ast saßen, bis sie plötzlich ihre breite, weiche „Flughaut“ zwischen Vorder- und Hinterbeinen spannten und elegant durch die Luft segelten!
Ich dachte an unsere Zwergbilche Romeo und Julia, die übrigens noch bei bester Gesundheit bei meiner Schwiegereltern in Hamburg lebten. Damals hatten sie Heiko bei seiner Doktorarbeit geholfen. Ich hatte sie gepflegt, und wir hatten furchtbar viel Mühe gehabt, um sie von Nacht auf Tag umzustellen. So ein Nachttierhaus hätten wir damals haben müssen!
Wir hätten gern den ganzen Tag in Taronga verbracht, aber Heiko sagte: „Giraffen und Löwen sehen wir zu Hause, Eisbären und Pinguine in jedem Zoo. Hier müssen wir uns auf die Australier konzentrieren!“
Also gingen wir noch schnell zu den Koalas, die auch ein eigenes Gebäude hatten, und zwar einen Rundbau, wo man immer an der Wand entlang in Spiralen nach oben gehen konnte. Mitten in der Spirale war der Baum, in dem die Koalas lebten. Es waren viele davon, sehr viele! Da kaute ein alter,
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