Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
in den Fluß gefallen!“
Wir gingen vorsichtig an den Scherben vorbei, dann waren wir auf dem sauberen Pfad, der direkt zu Frau von Waldenburgs Haus führte.
„Sagen Sie, wohnen Sie in dem Würfelhaus?“ fragte mein Begleiter.
„Würfelhaus?“ Ich mußte lachen. „Ja, so kann man es vielleicht nennen. Meine Wirtin behauptet, es ist durch Sproßbildung gewachsen!“
„Dann wohnen Sie ja bei Bicky!“
„Genau. Sie kennen also die Hauptperson des Hauses?“
„Na klar. Alle Hundebesitzer hier in der Gegend kennen sich, jedenfalls kennen wir die Hunde. Hasso ist ein ganz großer Verehrer von Bicky. Aber wir treffen uns nicht mehr so oft, ich gehe schon gegen halb acht Uhr morgens, und in der letzten Zeit, glaube ich, kommt Bicky erst später.“
„Ja, daran sind wir schuld. Ich meine, wir drei Pensionäre! Frau von Waldenburg kann erst mit Bicky los, nachdem sie uns Frühstück gegeben hat und wir ordnungsgemäß ihr Haus verlassen haben!“ „Ach, Frau von Waldenburg hat jetzt Pensionäre?“
„Ja. Drei Mädchen. Alle Studentinnen. Ich bin also eine davon. Ich studiere Zahnheilkunde.“
„Sieh einer an! Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich Zahnschmerzen kriegen sollte!“
„Dann warten Sie am besten noch ein paar Jahre. Vorläufig weiß ich kaum den Unterschied zwischen einem Schneidezahn und einem Weisheitszahn!“
Er erzählte, daß er Jura studierte und im vorletzten Semester sei. Als wir uns vor dem Gartentor verabschiedeten und ich mich für das Nachhausebringen bedankte, sagte er mir, daß er Bernhard Lange
hieße.
Als ich ihn zwischen den Bäumen verschwinden sah, wußte er auch meinen Namen.
Ich konnte gerade noch sehen, daß er sich umdrehte und noch einmal die Hand zum Abschied hob. „Auf Wiedersehen, recht bald, Heidi!“
Dann verschlang die Dunkelheit Bernhard und Hasso.
Frau von Waldenburg stellte nie Fragen.
Auch nicht, als ich am folgenden Morgen schon um halb sieben in der Küche erschien. Ich sagte nur, daß ich heute ganz früh los müßte. Ich aß schnell meine Butterbrote, Frau von Waldenburg erinnerte mich daran, daß heute Donnerstag sei, es gäbe erst abends ein warmes Essen, und sie würde mir raten, ein paar „Schulbrote“ einzustecken. Das tat ich und verabschiedete mich.
In dem kleinen Schuppen unten im Garten hatte ich etwas gesehen, was ich jetzt gerade brauchte: einen großen Reisigbesen. Den holte ich mir, und zehn Minuten später war ich in vollem Gange, die Weiße Brücke zu fegen. Was waren diese Rowdys doch für. halt, beinahe hätte ich jetzt eins der Worte gebraucht, von denen Senta gesagt hätte, man dürfe sie nicht aussprechen!
Die Wegbeleuchtung war hier schlecht, aber ich hoffte, daß ich, all die Scherben mitgekriegt hatte.
Allmählich wurde es etwas heller, und da kam auch der erste Hund, ein großer, prachtvoller Collie mit Frauchen. Sie sah mich mit dem Besen und nickte freundlich. „Wie schön, daß hier saubergemacht wird. Siehst du, Roland, heute kannst du dir die Pfoten nicht verletzen.“
Roland wedelte freundlich, und schon kam der nächste, ein munterer Münsterländer. Ich habe nichts gegen Collies und Münsterländer, aber gerade jetzt interessierte ich mich mehr für Schäferhunde.
Die Brücke war einwandfrei sauber, und ich versteckte meinen Besen im Gebüsch. Ich würde ihn vielleicht morgen wieder brauchen.
Dann machte ich mich auf den Weg zum Bus - und gerade dort, wo der Pfad eine Kurve machte, stieß ich beinahe mit einem großen Hund zusammen. „Oh, Hasso, du bist es ja!“ Da war auch Bernhard.
Er erkannte mich gleich und reichte mir die Hand. „Nanu, so früh auf den Beinen? Und hier in der Gefahrenzone?“
„Morgens ist es doch nicht gefährlich, haben Sie gesagt. Ich bin
schon um sieben hier gewesen und habe die Brücke gefegt!“
„Na, dann haben Sie wirklich die gute Tat des Tages getan. Heißt es nicht so bei den Pfadfindern? ,A good turn every day?’“
„Doch, so heißt es. Ich war selbst früher Pfadfinderin.“
„Und Sie haben die löbliche Angewohnheit beibehalten? Was haben Sie denn sonst immer als ,good turns’ gemacht?“
„Oh, das war verschieden, ich habe es mir oft sehr leichtgemacht! Ich habe einmal einer alten Frau einen schweren Korb getragen - ab und zu mein Zimmer gründlich aufgeräumt - und wenn ich ein ganz schlechtes Gewissen hatte, habe ich das Mittagsabwaschen übernommen. Was als ,gute Tat’ für ein paar Tage ausreichte, bei unserem Geschirrverbrauch!“
„Ist Ihre
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