Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
konnten, du führest nach Hause zu Weihnachten?“
„Ich habe an dem Donnerstagabend, du weißt, bei dem Essen, Jessica gesagt, ich sei über Weihnachten bei einer Kommilitonin eingeladen. Kurz danach brachen die Gäste auf, und Jessica hat wahrscheinlich kein Wort zu Frau von Waldenburg gesagt. Ist ja auch egal.“
Der Alltag kam, und wir gingen zu unseren Nachmittagsjobs. Das Geld wuchs in unseren Sparbüchsen.
„Wir können vielleicht von Glück sagen, daß wir so billig wohnen!“ sagte ich eines Tages.
„Glück ist gar kein Wort“, meinte Xenia. „Wenn du wüßtest, wie gern ich etwas für Frau von Waldenburg tun möchte. etwas Richtiges, Großes. oh, ich weiß was! Machst du mit?“
„Klar, aber was?“
„Sie hat es doch vor Weihnachten nicht geschafft, die Küche gründlich sauberzumachen! Wollen wir das tun? Alle Schubfächer und Schränke, Türen und Fenster reinigen?“
Gesagt, getan. Wir gingen los mit Eimern und Lappen, räumten alle Schränke aus, keine Ecke blieb von unserer Putzwut verschont!
„Du siehst so anders aus, Xenia“, sagte ich. „Wenn du so ein Kopftuch trägst und kein einziges Härchen zu sehen ist, kennt man dich beinahe nicht wieder!“
„Das habe ich mir angewöhnt in der Zeit, wo ich nicht wiedererkannt werden wollte“, sagte Xenia. „Außerdem habe ich meinen zweiten Vornamen benutzt. ja, ich heiße Xenia Maria. Und da ich zum Glück den nicht gerade seltenen Namen Müller trage, hoffte ich ja, daß meine verschiedenen Arbeitgeber in dieser Maria Müller nicht die eventuell gesuchte Xenia Müller mit den krausen Haaren wiedererkennen würden!“
„Hat man dich denn überhaupt gesucht?“
„Ich glaube nicht. Das ganze Dorf hat sich bestimmt gefreut, daß es mich los wurde.“
„Aber du, Xenia. Etwas wundert mich. Du mit deinem glänzenden Abitur, du müßtest doch eine Studienhilfe bekommen können!“
„Ja, ich danke! Dann müßte ich alle Papiere einschicken, dann müßte ich womöglich irgendein Zeugnis von meinen Pflegeeltern haben, es würde alles aufgewühlt werden! Nein, ich bin selig, wenn ich ganz anonym bleiben kann. Reich mir bitte das Scheuerpulver, Heidi, ich möchte nicht extra von dieser verflixten Trittleiter runterkrabbeln.“
Am Silvesterabend, als wir neue Kerzen an dem Baum angemacht und Beates Hammelfleisch in Aspik als Festmahl gegessen hatten, erzählte ich Xenia von Bernhard.
„Wie ich es dir gönne, Heidi“, sagte sie mit einer ganz sanften Stimme. „Hoffentlich wird er dich nie enttäuschen!“
„Warum sollte er?“
„Nein, du hast recht. Warum sollte er?“
Kurz vor zwölf machten wir das Radio an. Als die zwölf feierlichen Glockenschläge das neue Jahr verkündeten, reichten wir uns die Hände.
„Alles Gute fürs neue Jahr, Heidi!“
„Dir dasselbe, Xenia. Und ich danke für das, was du mir im vergangenen Jahr geschenkt hast!“
„Wer hat hier zu danken?“ antwortete Xenia.
„Hoffentlich wird er dich nie enttäuschen!“
„Was bin ich für ein Schaf!“ stöhnte Frau von Waldenburg. „Ein Idiot, ein Quadratrindvieh!“
Sie war am zweiten Januar zurückgekommen. Bicky war aus dem Häuschen vor Glück, als sie ihre geliebte „Tante Xenia“ wiedersah, und Frau von Waldenburg war freudig überrascht über die saubergemachte Küche.
Wir hatten zusammen Abendbrot gegessen, und dann war der Augenblick gekommen. Xenia guckte mich an, ich guckte sie an, ich räusperte mich und fing an. Dies mußte sofort erledigt werden, bevor Denise zurückkam. Dann beichtete ich, von Xenia unterstützt.
Frau von Waldenburgs Antwort war der Ausbruch: „Ich Schaf!“
„Warum fühlen Sie sich wie ein Schaf?“ fragte ich.
„Und das fragen Sie? Weil ich mich überhaupt nicht erkundigt habe, ob ihr nach Hause fahren würdet! Weil ich es als selbstverständlich betrachtet habe! Dabei weiß ich doch sehr gut, daß ihr die Groschen zählen müßt. Oh, ich könnte mich selbst ohrfeigen! Ich bin ein Superegoist und habe eine meilenlange Leitung!“
„Frau von Waldenburg“, sagte Xenia. „Wenn Sie uns bloß nicht allzu böse sind, ist alles gut. Heidi und ich haben so unvergeßlich schöne Tage zusammen verbracht, ich habe überhaupt nie in meinem Leben die Weihnachtsferien so genossen!“
„Wenn es Sie interessieren kann“, ergänzte ich, „sind Xenia und ich die allerbesten Freundinnen geworden. und darüber sind wir beide sehr glücklich!“
Ein großes Lächeln kam auf Frau von Waldenburgs Gesicht zum
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