Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
Jedenfalls kriege ich keine Zustände mehr, wenn ich einen Regenwurm sehe.“
„Ich danke dem lieben Gott und St. Lukas, daß du anscheinend ohne Dauerschaden den Schock überlebt hast!“ sagte Bernt, als wir im Auto saßen. „Ich kann dir sagen, ich habe nicht schlecht um dich gebangt!“
„Wegen des Bisses?“
„Von wegen Biß, so was schaffen wir mit Serum und Kreislaufmittel - ja, und Aussaugen, wie meine kluge Frau es gleich getan hat. Nein, ich fürchtete, daß du nach dem Schock.“
„. in die Klapsmühle geschickt werden müßtest?“ ergänzte ich. „Pfui, schäme dich! Im Ernst, Allegra. Eine solche ,Phobie’ wie du sie hattest ist nicht von Pappe. Und was man dabei immer vermeiden muß, ist der große Schock! Einen Hydrophobiepatienten darf man nicht ins Wasser werfen, einen Klaustrophobiepatienten nicht in einen Schrank sperren! Man muß die Behandlung sehr langsam und schrittweise durchführen. Dann kannst du wohl begreifen, daß ich sehr erleichtert bin, weil du anscheinend alles gut überstanden hast.“
„Aber wenn nun der Kleine gebissen worden wäre?“ fragte ich. „Hättest du ihn nicht auch mit Serum retten können?“
„Das ist sehr fraglich. Für einen Säugling ist ein Kreuzotterbiß gelinde gesagt lebensgefährlich. Man könnte direkt tödlich sagen. Hättest du das Biest nicht gesehen und so blitzschnell reagiert, ist es sehr wahrscheinlich, daß das Kind irgendeine Bewegung gemacht hätte, die Schlange hätte es als Angriff aufgefaßt und hätte zugebissen. Nein, Allegra, es läßt sich nicht leugnen, daß du mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit ein Menschenleben gerettet hast. Und wenn du das mit einem Dauerschaden hättest bezahlen müssen.“ „Siehst du“, sagte ich, „jetzt bist du um eine medizinische Erfahrung reicher. Ich habe eine sehr wirksame Kur durchgemacht.“ „Wirksam, ja“, gab Bernt zu. „Aber ich empfehle sie nicht weiter! Das war im wahrsten Sinne des Wortes eine Roßkur!“
Traurige Tage
„Guten Morgen, Fräulein Schlangenbändigerin!“
Ich drehte mich um. In der Tür stand Andreas, Katrins Bruder. Er hielt die Hände auf dem Rücken und grinste breit. „Guten Morgen, Andreas! So früh auf den Beinen?“
„Das nennst du früh? Ich bin schon lange auf und habe den Tag mit einer guten Tat angefangen, wie es sich für einen ehemaligen Pfadfinder geziemt. Wie ist es, bist du jetzt soweit, daß du eine Schlange sehen kannst? Jedenfalls eine tote?“
„Eine tote, ja. Mein Bedarf an lebendigen Schlangen ist vorerst gedeckt.“
„Das kann ich mir schon denken. Na, dann guck mal!“ Er hielt eine grausig lange, dicke Kreuzotter hoch, damit ich sie richtig bewundern konnte. „Da hast du den Übeltäter! Erkennst du ihn wieder?“
„Eigentlich nicht. Es könnte auch sein Zwillingsbruder sein.“ „Theoretisch ja. Aber ich glaube schon, daß es diese ist. Seit einer Woche wühle ich rum und suche das Untier. Heute früh ist es mir über den Weg gelaufen, und hier ist es, bitte sehr!“
„Ich danke! Begrab es oder verbrenne es, ich weiß nicht was man mit toten Schlangen macht. Aber glaubst du nicht, daß es noch Familienangehörige hat?“
„Nein, ich glaube, es war ein Einzelgänger, der sich auf unser Grundstück verirrt hat. Na, du willst ihn also nicht haben. - Es duftet so gut bei euch, du bist wohl beim Kaffeemachen?“
Das war ich. Es war Samstag und keine Sprechstunde. Also war ich früh aufgestanden, um den Frühstückstisch zu decken.
„Hast du denn kein Frühstück gekriegt?“ fragte ich und goß Andreas eine Tasse Kaffee ein.
„Doch, aber nur einen Schnellimbiß, weil mein Weib und meine Sprößlinge nach Kristiansand gefahren sind, zwecks Geldverjubeln, das heißt, Kinderkleidung kaufen. Ich könnte mir unbedingt ein zweites Frühstück bei euch vorstellen.“
Bevor ich antworten konnte, erschien Bernt. Ich überließ es den beiden Männern, die tote Kreuzotter wegzuschaffen, und legte ein viertes Gedeck auf den Tisch. Kurz danach kam auch Katrin.
„Mein Sohn hat 150 Gramm zugenommen“, verkündete sie. „Wenn er so weitermacht, wird er ein Riese! Und ich habe einen
Mordshunger!“
Es wurde ein lebhaftes Frühstück, und ich genoß es. Mutti hatte recht gehabt.
Es war höchste Zeit, daß ich auch mit jungen Menschen zusammenkam!
„Hast du Liebeskummer, Allegra?“ fragte Andreas.
„Nein, wieso?“
„Du ißt ja kaum! Und du trinkst den Kaffee schwarz!“
„Ja, ich mache tapfere Versuche, ein paar Pfündchen
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