Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
umstülpe und Dir ihre Linksseite zeige! Das Rumwühlen im Seelenleben liegt mir nicht. Mit seinen Sorgen muß man schon allein fertig werden, das habe ich bis jetzt geschafft und werde es hoffentlich auch weiterhin fertigbringen. Es ist schön und gut, daß Du bei so „reizenden Menschen“ bist, aber werde nur nicht sentimental. Und bitte, verschone mich mit Bibelzitaten!
Mir geht es prima. Wie Du siehst, habe ich eine Schreibmaschine gekriegt, sie gehörte meinem Stiefvater. Was noch besser ist, ich habe auch das Auto! Das heißt, es gehört eigentlich meiner Mutter, sie hat aber keinen Führerschein, den ich gottlob habe. Also machen wir schöne Sonntagsausflüge. Es ist ulkig, aber die Leute glauben immer, daß ich mit meiner Freundin fahre. Nun ja, meine Mutter ist ja erst siebzehn Jahre älter als ich, und Ihr Frauen könnt ja immer mit Hilfe von Friseur und Masseur und Cremes und der Himmel weiß was, Euch etliche Jahre jünger machen.
Also, wenn wir uns wieder treffen, kann ich Dich standesgemäß im Auto spazierenfahren. Das wird fein!
Finanziell geht es mir auch nicht schlecht. Mein Lehrlingsgehalt habe ich ja ungeschoren, da ich umsonst bei meiner Mutter wohne. Also werde ich Dich bestimmt zur Autofahrt mit feinem Sonntagsmittagsessen einladen können.
Du fährst doch wohl nach Hause zu Weihnachten? Meine Mutter möchte unbedingt Weihnachten bei den Großeltern feiern. Meinetwegen! Vielleicht kommt es zu einer rührenden Versöhnung zwischen Opa und mir. Rührende Versöhnungen sind mir genauso widerlich wie Seelenforschen und Bibelzitate! Na, vielleicht geht es auch ohne Rührung.
Laß wieder von Dir hören, falls Du zwischen Patienten und Kochen und Windelwaschen Zeit hast.
Viele Grüße!
Hartmut
Ich blieb sitzen mit dem Brief in der Hand. Dann las ich die erste Hälfte noch einmal. Ich war bitter enttäuscht. Wenn er nun so scheu wäre, daß er nichts von sich und seinen Gefühlen erzählen wollte, hätte er das nicht mit freundlicheren Worten sagen können? Warum diese brutale Reaktion auf etwas, das wirklich nur gutgemeint war?
Es tat mir schrecklich weh.
Und warum war er so ungerecht? Ich wollte durchaus nicht in „seinem Seelenleben rumwühlen“ - ich wollte ihm nur klarmachen, daß ich immer für ihn da sei, wenn er das Bedürfnis hätte, sich mal auszusprechen. Und daß das Zusammensein mit Bernt und Katrin mich sentimental machen sollte! Er war himmelschreiend ungerecht!
Ich war unglücklich und ich war wütend. So ein Eiszapfen, so ein Idiot! Was für Freundschaft empfand er wohl, wenn er keinen Augenblick daran dachte, mir einen kleinen Einblick in sein Inneres zu geben? Und meinte er, daß ich sentimental war, wenn ich ihm erzählte, was mich froh stimmte, worüber ich mich ärgerte, was mich zum Lachen oder Weinen bringen konnte? Warum trug er so einen Eispanzer?
Vielleicht - vielleicht weil gar nichts hinter dem Panzer war? Vielleicht weil er wirklich gefühllos war?
Ja, wenn es so war, wäre es besser, die ganze Freundschaft aufzugeben und zu vergessen, daß wir einmal gemeinsam ein kleines Hündchen namens Allegra gebadet hatten, daß er mir einen Blumenstrauß gebracht hatte, daß wir damals einen so schönen Sonntag bei meinen Eltern verbrachten. Vergessen, daß wir an einem Sonntagmorgen am Straßenrand gesessen hatten, wo er mir von seinem Schicksal erzählt hatte. Erzählt, ja - aber ganz ohne
Kommentare.
Bloß vergessen, Allegra, sagte ich mir selbst. Nicht mehr an den Kerl denken. Du warst auf dem besten Weg, dich zu verlieben - in einen dummen, sommersprossigen Jüngling mit Motorroller, aber ohne Gefühle!
Denk an was anderes, Allegra! Streich ihn mitsamt seinen Sommersprossen aus deinem Gedächtnis!
Leichter gesagt als getan.
Als ich zum Taschentuch greifen mußte, versuchte ich, mich selbst davon zu überzeugen, daß ich weinte, weil die gute alte Frau Felsdorf gestorben war.
Diese Erklärung gab ich auch den drei Anglern, als sie mit fünf großen Goldbutts nach Hause kamen und gleich entdeckten, daß ich ein verheultes Gesicht hatte.
„Glaube mir, Allegra, das war das beste für die liebe alte Dame“, tröstete Bernt. „Würdest du nicht selbst einen sanften Tod vorziehen
- lieber als ein langsames Dahindämmern, wo du nicht mehr zurechnungsfähig bist?“
„Doch“, sagte ich. Dann fiel mir Momos private Philosophie ein, mit dem Lebenskreis. Das erzählte ich Bernt und Katrin, und sie nickten und verstanden.
„Siehst du“, sagte Katrin,
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