S - Spur Der Angst
Dr. Rhonda Hammersley über die leisen Klänge klassischer Musik hinweg, die durchs Zimmer wehten.
»Ich gehörte zu den Letzten, die eingestellt worden waren, also musste ich als eine der Ersten gehen«, erklärte Jules und spürte, wie ihre Handflächen zu schwitzen begannen. Sie saß der Studienrätin gegenüber und hielt ihre zitternden Hände unter der polierten Holztischplatte versteckt, um ihre Nervosität zu verbergen.
Jules hatte sich Cheryl Conways Ratschlag zu Herzen genommen und sich online bei der Blue Rock Academy beworben. Binnen zwei Tagen war sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, nicht in der Schule, sondern hier, in dem Haus am See, wo die beiden Pudel, die Köpfe auf den Pfoten, vor einem munter brennenden Kaminfeuer lagen und sie mit ihren dunklen Augen vorwurfsvoll anstarrten, als würden sie sie insgeheim der Lüge bezichtigen.
»Mit den Budgetkürzungen entfielen die Fächer Kunst und Musik, und da Kunst mein Hauptfach war, hatte man für mich keine Verwendung mehr.«
So einfach ist das.
»O ja, die sinkende Konjunktur zieht so manchen Stellenabbau nach sich. Ihr Nebenfach ist Geschichte, und Sie sind laut Ihrem Lebenslauf qualifiziert, Geschichtsunterricht zu erteilen.« Mit ihrem kurzgeschnittenen braunen Haar und der Statur einer Läuferin machte Hammersley einen sehr strengen, disziplinierten Eindruck, wenngleich sie durchaus Mitgefühl erkennen ließ.
»Das ist richtig.«
Hammersley blickte Jules prüfend über den Rand ihrer Lesebrille hinweg an, dann sah sie wieder auf die vor ihr liegende Bewerbung mitsamt den dazugehörigen Qualifikationsnachweisen.
»Ich muss zugeben, mir gefällt, was ich hier sehe, aber ich bin bloß ein Teil des Komitees.«
Das Komitee hatte Jules bereits länger als eine Stunde befragt. Hammersley war die dritte Person gewesen, die an dem polierten Holztisch Platz genommen hatte. Zunächst war ihr von Oberstudienrätin Dr. Adele Burdette auf den Zahn gefühlt worden, die an der Blue Rock Academy für die weiblichen Schüler zuständig war. Sie trug einen eleganten schwarzen Hosenanzug und wirkte durch und durch professionell und sachlich, wenngleich sie irgendwie abgelenkt schien. Während des Vorstellungsgesprächs blickte sie dreimal auf die Uhr und drehte sich eine vorwitzige rote Locke um den Finger, bevor ihr bewusst wurde, was sie da tat. Abrupt ließ sie den Finger sinken. Jules bemerkte die tiefer werdenden Falten rechts und links ihrer Mundwinkel und zwischen den Augen, die darauf schließen ließen, dass Dr. Burdette kein glücklicher Mensch war.
Als Nächstes hatte sie Dr. Williams gegenübergesessen, einer großen, schlanken Schwarzen, die ihr gegenüber so freundlich und warmherzig gewesen war wie Burdette zugeknöpft und frostig.
Wie Mutt und Jeff, die Comicfiguren, hatte Jules gedacht.
»Bitte nennen Sie mich Tyeesha«, insistierte Dr. Williams, während sie Jules mit einem strahlenden Lächeln die Hand schüttelte. Sie war gut eins achtzig groß, trug ein rostrotes, ärmelloses Kleid und bunte Armbänder und schien sich in ihrer Haut so wohl zu fühlen wie Burdette unwohl.
Und nun saß sie vor Rhonda Hammersley, die den Abschluss zu machen schien.
»Natürlich hat Dr. Lynch das letzte Wort. Er hat all Ihre Unterlagen durchgesehen.« Sie beugte sich vor, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. »Sie wissen, dass unsere Schule den Ruf hat, bei auffällig gewordenen Jugendlichen wahre Wunder zu bewirken. Wir bieten abgeschriebenen Kids eine neue Perspektive, um es mal so auszudrücken.«
Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür hinter Jules. Die Pudel sprangen auf und wedelten mit den Schwänzen. »Jakob! Esau! Platz!« Die Hunde gehorchten.
»Oh, Reverend Lynch«, sagte Hammersley und erhob sich. Sie strahlte förmlich beim Anblick des Predigers.
Jules stand ebenfalls auf und drehte sich um. Der Reverend stand neben der zierlichen, affektierten Frau, die Jules vor einer Woche die Tür geöffnet hatte.
»Sie müssen Julia sein«, begrüßte er sie mit warmer Stimme und streckte eine große Hand aus. »Ich bin Dr. Lynch, und das ist meine Frau Cora Sue.«
Mrs. Lynch reichte Jules ebenfalls die Hand. Der Diamant an ihrem Ringfinger funkelte im Licht des Kaminfeuers. »Freut mich, Sie kennenzulernen.« Ihre Augen glänzten wie der Klunker, während sie Jules musterte. »Sie kommen mir bekannt vor. Sind wir uns schon einmal begegnet?«
»Nicht dass ich wüsste«, log Jules, in der Hoffnung, ihr Äußeres
Weitere Kostenlose Bücher