S3, Spuk in der Bibliothek: Eine Annäherung an das Unheimliche (German Edition)
Vielleicht stehen sie einfach für die Tatsache, dass ich nicht weiß, was ich von all den Geschichten halten soll, die ich gesammelt habe, dass ich mir nicht sicher bin, was wirklich auf S3 vor sich geht. Und die zerbrochenen Gewehre in den Wandschränken sind vielleicht einfach ein Symbol für Hilflosigkeit. Was soll man mit einem zerbrochenen Gewehr?
Den Wirbel wiederum, diesen Abgrund aus meinem ersten Traum, verbinde ich mit der Luke, unter der sich angeblich hunderte von Fotos befinden. In meinem Traum wusste ich ja, dass sich viele Menschen unter mir befinden, in diesem Wirbel. Und am gleichen Abend hatte ich ja versucht, eine Luke in der Bibliothek zu öffnen. Wäre ich etwas abergläubischer, ich könnte das Traumgeschehen – dieses hilflose Hineinrutschen in den Strudel – als Warnung deuten, als Aufforderung, es sein zu lassen, die Luke im Boden nicht zu öffnen. Und vielleicht habe ich meinen Traum unbewusst auch so verstanden. Warum sonst habe ich den Schraubenzieher und die Taschenlampe direkt wieder aus meinem Rucksack genommen? Warum sonst habe ich beschlossen, S3 erst mal in Ruhe zu lassen, keine weiteren Interviews zu führen und woanders zu arbeiten?
Was das Gesicht angeht, das ich im Strudel sah und das mich anschrie: Natürlich war es eine Reaktion auf die Schreie der Katzen, die ich im Schlaf hörte. Aber die Tatsache, dass es völlig weiss war und ich keine konkreten Gesichtszüge erkennen konnte, spricht eben dafür, dass es irgendetwas Unidentifizierbares war, eine Art Geist oder Gespenst. Geister denkt man sich ja als blass und durchscheinend. Und auch das Fehlen erkennbarer Gesichtszüge passt. Traditionell stellt man sich Gespenster ja als etwas Schemenhaftes und Undeutliches vor.
Es gäbe noch viel herumzudeuten an den beiden Träumen. Aber wie gesagt: Mir fehlt der Glaube an die Aussagekraft von Träumen. Wahrscheinlich kann man da reininterpretieren, was immer man möchte. Sicher ist nur, dass mir S3 so wichtig ist, dass es mich auch im Schlaf nicht loslässt. Vielleicht kann ich das Ganze doch nicht einfach auf sich beruhen lassen, vielleicht muss ich zu irgendeiner Art von Ergebnis kommen, zu irgendeiner „Deutung“ dessen, was mir erzählt wurde.
27. Ein Anruf
Donnerstag, 24. April 2008: Ich komme gegen 16 Uhr nach Hause, die Lampe an meinem Telefon blinkt. Ich höre die Nachricht ab, sie stammt von Achim. Mit ihm hatte ich mich vor fast einem Monat unterhalten. Er ist derjenige, der eine Zeit lang die Computer in der Bibliothek wartete und der mir von dem extrem lauten Ton aus den Lautsprechern erzählte.
Er sei, so Achim, vor kurzem „mit ein paar Kumpels“ zusammengesessen und irgendwann, „nach n paar Bier“, habe er von meinem S3-Projekt erzählt. Einer seiner Kumpels habe dann gemeint, sein Nachbar erzähle auch ab und zu von S3, dem sei auch schon Unheimliches passiert. Dieser Nachbar sei zwar ein „komischer Typ“ aber vielleicht würde er bei einem Interview mitmachen. Falls ich noch an Geschichten zu S3 interessiert sei, dann könne ich seinen Kumpel direkt anrufen. Hier die Nummer: ...
Natürlich habe ich gerade nichts zu schreiben und Zahlenreihen konnte ich mir noch nie merken. Ich hole Stift und Papier, höre mir die Nachricht noch einmal an und notiere mir die Nummer. Dann höre ich die Nachricht ein drittes Mal ab, nur zur Sicherheit.
Eigentlich wollte ich mich ja vorerst nicht mehr mit S3 beschäftigen, keine Interviews mehr führen und sogar in einem anderen Bereich arbeiten, einfach Abstand gewinnen. Erst mal drüber schlafen, morgen kann ich immer noch entscheiden, ob ich Achims Bekannten anrufe.
Andererseits: Was soll’s? Ich kann ja mal anrufen. Ob ich dann ein weiteres Interview führe, das kann ich immer noch entscheiden. Also die Nummer gewählt. Es meldet sich jemand mit „Hallo, hier Patrick“ und ich erkläre Patrick, dass ich seine Nummer von Achim habe. Er wirkt zuerst etwas verwirrt aber als ich ihm sage, dass ich derjenige mit dem S3-Projekt bin, da weiß er Bescheid.
Patrick berichtet mir von seinem Nachbarn, einem etwas „verschrobenen“ (Patrick selbst verwendet diesen Ausdruck) Typen. Mit diesem unterhalte er sich ab und zu im Treppenhaus, manchmal auch über die Bibliothek. Bestimmt hätte auch ich seinen Nachbarn schon mal in der Bibliothek gesehen, so Patrick, der sammle dort die leeren Pfandflaschen ein.
Ich habe schon mehrmals Leute gesehen, die in der Bib die Flaschen einsammeln, an jemand Bestimmten
Weitere Kostenlose Bücher