Saat der Lüge
Lächeln in meinem Inneren aus.
Dann rauschten wir durch die Glastüren ins Charlie’s und waren schlagartig wieder wie früher.
Jenny ist bereits drinnen und rückt uns Minute für Minute näher – aber das können wir zu diesem Zeitpunkt unmöglich wissen.
Das Charlie’s ist in den Jahren seit unserem letzten Besuch renoviert worden und hat neue Ledersitzecken, eine zweite Theke und eine größere Tanzfläche bekommen. Mike tanzt nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Immer wieder werfe ich ihm verstohlene Seitenblicke zu und beobachte, wie er sich eckig und schwerfällig, aber mit unglaublicher Begeisterung bewegt. Es ist ihm einfach deutlich anzusehen, dass er nichts lieber tut, als hier mit uns zu tanzen. Ab und zu nimmt er meine Hand und wirbelt mich herum, und wir lachen arglos wie schwachsinnige, hyperaktive Kinder. Ich glaube nicht, dass ich jemals so glücklich war.
Er sieht mich fast ununterbrochen an, zumindest kommt es mir so vor, und wenn sich unsere Blicke treffen, merken wir, wie uns jede Vibration der Luft enger zusammenschweißt. Unsere Gliedmaßen bewegen sich im selben Element, ohne sich zu berühren.
Irgendwann müssen wir eine Tanzpause einlegen und verschnaufen. Stevie verschwindet mit hochrotem Kopf Richtung Bar und kommt mit einer Runde Schnaps und Gläsern voll nebligem Wasser zurück. Wir reden Unsinn, aber uns kommt er natürlich absolut brillant vor. Wir stecken voller Geschichten, die uns zum Lachen bringen. Weißt du noch, an deinem Geburtstag? Wisst ihr noch, wie Tim, dieser Spinner, in die Zoohandlung gegangen ist? Könnt ihr euch noch, an den nigerianischen Mitbewohner von Simon Phelp erinnern, der mit niemandem ein Wort gesprochen hat und um vier Uhr morgens duschen ging?
Immer wieder verkündet Mike, wie toll er es findet, dass die alte Gang wieder vereint ist, und seine Augen glänzen wie die eines fiebrigen Kindes. Sein Anblick versetzt mir tief in der Brust einen Stich, und ich stelle fest, dass ich in der halben Ewigkeit, die er braucht, um eine feuchte Haarsträhne von meiner Wange zu lösen und hinter mein Ohr zu streichen, nicht atmen kann. Cora schiebt ihren Arm durch meinen und sagt: »Ich hab dich vermisst.«
Bald ist eine neue Runde Drinks auf der Bar aufgereiht, paarweise, wie kleine Tiere vor der Arche Noah: zwei Jack Daniel’s, zwei Wodka-Cola, zwei Flaschen Bacardi Breezer, zwei Halbe Worthington Bier. Ich bin mir nicht sicher, wie die Aufteilung gedacht ist. Die Bacardi Breezer sind vermutlich für Cora, weil sie es gerne süß mag und Alkopops noch neu und ziemlich en vogue sind. Die Jack Daniel’s sind wie immer für mich. Meine Martini-Phase ist vorbei, jetzt, wo ich ein wenig älter bin. Aber immer noch Single. Und glücklich.
Auf die Drinks folgen zum Nachspülen After Shocks, die für einen prickelnden, desinfizierenden Kick sorgen. Nicht etwa weil wir sie mögen, sondern weil sie gerade angesagt sind. Die Bar beginnt sich zu füllen, der Boden um uns herum verschwindet zusehends, und die Band spielt immer lauter und lauter. Während weiter die Witze und Geschichten aus uns heraussprudeln, hebe ich gelegentlich den Blick ein wenig, um den pulsierenden Raum und die verheißungsvollen Gesichter in mich aufzunehmen. Dabei fange ich immer wieder interessierte Blicke auf, reiße mich aber jedes Mal wieder los. Je tiefer die Drinks in jeden Nerv und jede Faser meines Körpers vordringen, desto stärker spannen sich meine Muskeln, desto geschmeidiger fühle ich mich, desto röter werden meine Lippen und desto offener bin ich für bewundernde Blicke.
Inzwischen schielen die Männer, die ihre Blicke früher auf Coras beeindruckende Oberweite gerichtet haben, zu mir herüber, tun jedoch so, als interessierte ich sie gar nicht. Auch ich täusche Desinteresse vor, wir sind Verschwörer. Das geht nun schon seit einigen Jahren so, zu meinem grenzenlosen Erstaunen. Noch immer lache ich innerlich vor Freude darüber, und dieses Lachen bricht sich in einem Zurückwerfen des Kopfes Bahn, in einem Klopfen des Fußes auf den Steinboden. Cool, aber anzüglich.
Seit ich als Reporterin arbeite, habe ich die langen geblümten Kleider, ausgeblichenen Jeans und bunten Sweatshirts aus Studententagen gegen einen Stil eingetauscht, der aus dunkleren Farben und engeren Schnitten besteht und in meinen Augen weiblich, aber leicht aggressiv ist. An diesem Abend trage ich ein ärmelloses schwarzes Top, dessen spitzenbesetzter Ausschnitt entlang des Schlüsselbeins verläuft,
Weitere Kostenlose Bücher