Saat der Lüge
uns in ihrem Strudel herumgewirbelt hatten, bis meine Füße schließlich hier, neben der alten und gleichzeitig neuen Cora, wieder den Boden berührten.
Ich betrachtete sie in ihrem fliederfarbenen seidenen Morgenmantel von Calvin Klein. Die Farbe stand ihr nicht. Sie verlieh ihrem bleichen Gesicht einen fast bläulichen Stich, so als erstickte sie gerade langsam und leise. Auf der Frisierkommode neben dem Bett standen ordentlich aufgereiht diverse teure Gesichtscremes, in die ich zu gerne den Finger gesteckt hätte, um sie mir ins Gesicht zu schmieren. Auf den gelackten Tuben und Döschen verhießen exotische französische Namen in glänzenden goldenen Lettern ewige Jugend und Schönheit.
Die Bettdecke war zerwühlt, aber alles andere im Zimmer wirkte makellos. Ganz anders als in meinem Schlafzimmer, in dem sich jeden Tag eine neue Schicht Ablagerungen ansammelte: bündelweise Kassenzettel zwischen Fotorahmen und Parfumflaschen, Münzen und Knöpfe in der Schmuckablage, Schuhe, die wie durch Osmose aus dem Kleiderschrank auftauchten oder sich unter dem Türspalt durchschoben, um sich mit Socken und Strumpfhosen zum heimlichen Stelldichein zu treffen.
In Coras Schlafzimmer war weit und breit kein Schuh oder BH oder zerknüllte Socken zu sehen. An diesem Morgen war nur Cora zerknittert, und kein Calvin Klein der Welt hätte daran etwas ändern können. Sie sah sehr jung aus in diesem Moment. Aber sie war es nicht wirklich.
Weil ich nichts Sinnvolles zu sagen wusste, saß ich einfach neben ihr, reichte ihr Papiertücher und legte ihr die Hand auf den Arm, ein stummer, dämlicher Trost. Mindestens einmal pro Minute betonte sie, wie sehr sie ihn liebte. Sie hatte ihm doch jahrelang alles gegeben, einfach alles, und nun ließ er sie für ein einziges verdammtes Flittchen, eine einzige blöde Schlampe im Stich. Ihr Herzschmerz stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
Wieder betonte sie, dass er der erste und einzige Mann sei, mit dem sie je Sex gehabt habe, den sie je geliebt habe. Das hatte sie mir schon vor Jahren verraten, noch bevor ich ihn überhaupt kennengelernt hatte. Und seither hatte sie nie aufgehört, mich daran zu erinnern. Wo zur Hölle steckst du, Mike?, dachte ich. Wo auch immer du bist, es macht echt keinen guten Eindruck.
Dann erstarrten wir beide, als wir hörten, wie ein Schlüssel im Schloss rasselte, wie die Haustür leise aufschwang und dann behutsam zugezogen wurde. Einen Moment lang herrschte Stille im Flur. Dann ein Schlurfgeräusch und Schlüssel, die abgelegt wurden. Schließlich schwere Schritte auf der Treppe.
»Das ist Mike«, keuchte Cora überflüssigerweise, da sonst niemand den Schlüssel zu ihrem Haus hatte.
»Gib ihm eine Chance, es zu erklären«, bat ich und drückte kurz ihren Arm, bevor ich mich aus dem Staub machte. »Es ist bestimmt nicht so, wie du denkst. Das würde er dir niemals antun.« Ich schlich eilig zur Tür, die auch Mike inzwischen erreicht hatte. Er war ungekämmt, sah aber in seinen Klamotten von letzter Nacht auf jungenhafte Weise gut aus.
Er strahlte und war sichtlich gut gelaunt. »Guten Morgen, ihr Süßen. Lange Nacht, was? Ist meine Prinzessin schon wach?«
Die Prinzessin sagte nur: »Komm rein. Ich muss mit dir reden.« Ihre leise, vernünftige Stimme hielt weder mich noch ihn zum Narren. Der etwas zerzauste Märchenprinz gehorchte sofort.
Kurz darauf hörte ich Cora durch die Wand schreien, aber ich hätte sie auch in jedem anderen Zimmer des Hauses gehört, sogar noch auf der Straße.
Immer und immer wieder fragte sie: »Warum? Warum hast du das getan? Warum?« Ein Murmeln … »Du konntest einfach nicht die Finger von ihr lassen, oder?« … »Du hast es versprochen, du hast es mir versprochen!« Ungefähr eine Minute lang herrschte Schweigen, dann erklang wieder Coras Stimme, die jetzt immer höher wurde: »Ich glaube dir kein Wort. Warum sollte ich dir glauben? Warum habe ich dir überhaupt je geglaubt?«
»Ich hab doch angerufen und Bescheid gesagt … ich hatte keinen Empfang … und heute Morgen hab ich verschlafen …« Dazwischen immer wieder ihre staccatoartigen Fragen, dann Weinen.
Ich wünschte mir verzweifelt, seine Erklärung hören zu können, endlich zu wissen, was passiert war. Was war los? Was meinte Cora? War er etwa wirklich mit dieser Jenny abgehauen? Das war doch nicht möglich, oder? Ich wollte jedes Detail hören, wollte, dass er alles erklärte. Aber er war nun mal nicht mein Mann.
Ich stopfte meine Sachen in den
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