Saat der Lüge
würden ihre Finger wieder auftauchen und uns zuwinken. Wir hatten einen Zeitkredit aufgenommen, dessen Rückzahlung Jenny bald einfordern würde.
Abendessen
A us der 5-Sterne-Panoramasicht, die ich rückblickend genieße, erkenne ich deutlich, dass Coras und Mikes Beziehung einige Wochen nach dem Vorfall im Charlie’s eine neue Dynamik bekam. Zunächst waren die Veränderungen fast unmerklich, aber je genauer ich hinsah, desto mehr fielen sie mir auf. Dabei war es eigentlich nichts Ungewöhnliches, dass sich Cora und Mike in Stevies und meinem Beisein zankten. Mit seiner begeisterungsfähigen, aber oft etwas ungestümen Art beging Mike ständig irgendwelche Fehler oder tat etwas, das Coras Missfallen erregte, aber diese Fehler waren nie besonders schwerwiegend.
Normalerweise zeigte sie ihr Missfallen durch hochgezogene Augenbrauen, gewisse »Blicke« und das Aussprechen seines Namens in strengem Tonfall. Diese Methode erinnerte mich immer an Eltern, die halb schmeichelnd, halb drohend ihre Kinder oder einen jungen Hund maßregeln. Es war sozusagen eine erste Warnung, ein Hinweis darauf, dass Schlimmeres bevorstand, falls sich sein Benehmen nicht besserte. Dieser Methode bediente sie sich bereits lange, bevor sie Lehrerin wurde. Sie war ein Naturtalent.
Mike steckte jede Kritik widerspruchslos weg. Aber in den Wochen nach der Begegnung mit Jenny schien Cora immer häufiger einen Anlass zu finden, etwas an ihm auszusetzen. Man konnte zwar vorher nie genau sagen, worum es dabei ging, aber es war äußerst unangenehm, Zeuge ihres ständigen Gemäkels zu werden.
Eines Donnerstagabends, zwei Wochen nach meinem Keksfrühstück mit Mike, waren Stevie und ich bei den beiden zum Essen eingeladen. Wir vermieden es sorgsam, ein gewisses Thema anzusprechen.
Cora setzte uns bergeweise Spaghetti Bolognese vor und dazu einen Vulkan aus Knoblauchbrot mit frischen Basilikumblättern. Beim Essen zeigte sich Coras neue Vorgehensweise. Sie begann mit versteckten Kommentaren über den Wein, den Mike gekauft hatte – dass er ziemlich billig sei –, sprach seine längst fällige Beförderung an – dass er aber auch immer versuchen musste, es allen recht zu machen –, um schließlich die Art zu kritisieren, wie er das Messer hielt. Nichts Weltbewegendes, aber die Spannung im Raum war greifbar.
Schon bei unserer Ankunft waren die beiden übertrieben um unser Wohl besorgt gewesen, wie es Pärchen oft sind, wenn sie, kurz bevor man an die Tür klopft, noch gestritten haben, aber fest entschlossen sind, es durch überfreundliches, charmantes Auftreten zu überspielen.
Mike ging taktisch vor und verhielt sich besonders beschwichtigend und aufmerksam. Ich muss gestehen, dass ich seinen Einsatz bewunderte, er gab sich wirklich Mühe. Niemand erwähnte das Charlie’s oder Jenny, und so kreiste das Tischgespräch zunächst um die Arbeit, ging dann zu Kinofilmen über und bewegte sich schließlich zu den Risiken, die es mit sich brachte, im Zentrum zu parken. Sicheres Terrain.
Ihre Körper aber sprachen eine andere Sprache. Normalerweise saßen einem die beiden eng umschlungen auf dem Sofa gegenüber, standen schmusend an der Spüle oder wischten einander zerstreut und eigenartig ehrfürchtig imaginäre Schmutzflecken von der Stirn. An diesem Abend jedoch saß Cora an einem Ende des rechteckigen Glastischs und Mike am anderen. An Coras aufrechtem Rücken und ihrem lang gestreckten Hals erkannte man die Spannung, unter der sie stand, genau wie an dem eigensinnigen Zug um ihren Mund, wenn sie mit ihm sprach.
Mike wirkte noch länger und schlaksiger als sonst, und es fiel ihm sichtlich schwer, in den steifen Ikea-Metallstühlen ohne Armlehnen aufrecht zu sitzen. Durch die Tischplatte sah ich, wie seine Füße links von mir nervös gegeneinanderschlugen, während er mir höflich Brot und Wein reichte. Seine widerspenstigen Haare, die dringend einen Haarschnitt nötig gehabt hätten, bildeten im Kerzenlicht einen Glorienschein um seinen Kopf.
Coras Essen war so gut, dass es uns neutralen Gesprächsstoff lieferte und ihr Gelegenheit gab, die liebenswürdige Gastgeberin zu spielen. Sie genoss es, für andere Leute zu kochen und ihnen anschließend dabei zuzusehen, wie sie verputzten, was sie zubereitet hatte. Ein Vergnügen für beide Seiten. Sie war nicht besonders experimentierfreudig, kochte aber herzhafte, zutiefst befriedigende Gerichte und hatte ihr Repertoire neuerdings von Klassikern wie Würstchen in Yorkshirepudding auf
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