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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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ich erwartet hatte. ( Dass es sich vielleicht um ein Verbrechen handelt – wie ich diese Agatha-Christie-Floskeln hasste! Ach ja, jetzt, wo du es erwähnst, Cora: Mr X wurde mit einem stumpfen Werkzeug in der Hand am Flussufer gesehen!)
    »Das steht da doch nirgends, oder?«, antwortete ich ruhig und geduldig, ohne zu zögern und ohne ihr Anhaltspunkte oder Stichwörter zu liefern.
    Coras Schweigen am anderen Ende der Leitung war spürbar aufgeladen, was auf ein Zusammenbrauen stürmischer Kräfte schließen ließ und mit Sicherheit auch auf einen Ausbruch. Es dauerte so lange, dass ich schon dachte, die Verbindung wäre unterbrochen worden. Dann erkannte ich an ihrer stoßweise schneller werdenden Atmung, dass sie nicht etwa kurz davor war, in die Luft zu gehen oder mich wie ein Wirbelsturm, der auf Land trifft, niederzumähen, sondern im Gegenteil große Mühe hatte, nicht in Tränen auszubrechen.
    Ich war überrascht. Tränen waren irgendwie schlimmer als der Hagel aus Fragen und Vorwürfen, auf den ich mich eingestellt hatte. Andererseits machten sie es mir leichter, mich zu rechtfertigen. Ohne mein Zutun hatte mich Cora in meinem Standpunkt bestärkt.
    »Siehst du? Ich wusste, dass du so reagierst. Ich wusste, dass alles wieder in dir hochkommt. Deshalb habe ich nichts gesagt. Es tut mir so leid, Cora. Nimm es dir nicht so zu Herzen.«
    Wieder brandete mir Schweigen entgegen. Cora schien sich die Nase zu putzen, dann räusperte sie sich und fand ihre Stimme wieder: »Ich verstehe schon. Du wolltest vermeiden, dass ich ausflippe, und natürlich bin ich ausgeflippt. Aber jetzt geht’s mir schon besser. Also: Was glaubt die Polizei, was passiert ist? Du musst es doch wissen, du bekommst doch auch Sachen mit, die nicht in der Zeitung stehen, oder?«
    »Ich glaube nicht, dass die Polizei schon eine heiße Spur hat«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Keiner scheint so recht zu wissen, wo sie sich an diesem Abend aufhielt und mit wem sie zusammen war. Es ist nach wie vor ein Rätsel.«
    »Wie kann das sein? Wie kann es sein, dass sie es noch nicht herausgefunden hat? Die Polizei, meine ich.«
    »Wir sind hier nicht im Fernsehen, Cora. In der Wirklichkeit läuft nicht immer alles so reibungslos ab.«
    »Aber es ist doch logisch, dass Personen, mit denen sie an dem Abend zusammen war, wissen, was sie zuletzt getan hat, oder? Sonst hätte die Polizei doch keinen Aufruf gestartet.« Wieder folgte Schweigen, und dieses Mal war es schlimmer, weil ich genau wusste, was als Nächstes kam.
    » Wir waren mit ihr zusammen. Wir haben sie gesehen. Hätten wir das nicht melden müssen? Ich meine, hätten wir nicht zur Polizei gehen müssen? Wir wissen, wann sie im Charlie’s war. Mike …« Sie brach ab, und die pfeifende Atmung setzte wieder ein. Dieses Mal hatte sie sich nicht unter Kontrolle. Ich hörte die Tränen, die ich nicht sehen konnte. »Sie war erst zweiundzwanzig! Ich dachte, sie wäre älter. Ich dachte wirklich, sie wäre älter.«
    Sie sprach genauso sehr mit sich selbst, wie sie mit mir sprach. Plötzlich fragte ich mich, wo sie steckte. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb vier.
    »Cora, bist du in der Schule?«
    Himmel noch mal! Waren etwa Kinder oder Lehrer oder Eltern in der Nähe, die sie hören konnten und sich fragten, warum die nette Lehrerin heulte und sich in ihre Zeitung schnäuzte?
    Zu meiner Erleichterung antwortete Cora: »Nein, ich war in der Schule. Auf dem Weg nach Hause habe ich die Zeitung gekauft, um den Artikel über Susies Mütterprojekt zu lesen. Ich bin im Auto.« Das war doch zumindest schon mal etwas. Immerhin konnte sie dort niemand hören.
    »Hör mal, Cora, du darfst dich nicht so aufregen deswegen. Ich habe mich am Anfang auch aufgeregt, aber solche Dinge passieren nun mal. Traurig, aber wahr. Ich schätze, ich bin da etwas abgehärteter als du.«
    »Oh ja«, sagte sie ironisch und gab einen Laut von sich, der halb Lachen, halb Schluchzen war. »Solche Dinge passieren. Aber sie passieren normalerweise niemandem, den wir kennen.«
    »Na ja, so richtig gekannt haben wir sie ja wohl nicht«, korrigierte ich sofort. Dass Cora sentimental wurde und über den Verlust der ach so jungen Jenny klagte, die sie, dreißig Sekunden bevor sie von ihrem Tod erfuhr, noch gehasst und verhöhnt hatte, war wirklich das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte. »Ich meine, wir sind ihr zwar kurz begegnet, aber gekannt haben wir sie nicht. Deshalb waren wir auch der Meinung, dass es sich nicht lohnt,

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