Saat des Feuers
dann, wie bereits ihre Mutter vor ihr, war sie in den ersten Greyhoundbus gestiegen, der Cheraw verließ. Um niemals wieder zurückzukehren.
Cædmon stand vom Tisch auf und ging zu ihr hinüber. Wortlos setzte er sich neben sie auf die Bettkante, wobei ihre Hüften sich berührten.
»Versteh mich jetzt bitte nicht falsch. Ich bin kein emotional
verkorkster Mensch, der nicht mit dem richtigen Leben zurechtkommt«, stellte sie nüchtern klar. »Ich komme sehr gut zurecht.«
»Ja, ich weiß. Aber Erinnerungen neigen dazu, einen zu überfallen, wenn man am allerwenigsten damit rechnet.«
Etwas in seiner Stimme ließ Edie vermuten, dass er aus eigener Erfahrung sprach. Vielleicht war seine Kindheit ja doch nicht wie in Eaton Place gewesen.
»Du musstest in zartem Alter bereits durch die Hölle gehen, aber irgendwie hast du es in all deinem Schmerz geschafft zu überleben.« Während Cædmon sprach, nahm er ihre Hand. »Du bist eine bemerkenswerte Frau, Edie Miller.«
»Bemerkenswert genug, um mit mir schlafen zu wollen?« Edie wandte den Kopf und sah ihm offen in die Augen. »Denn deshalb habe ich dir alles erzählt, weißt du? Jede Beziehung, die ich bisher hatte, war auf Lügen aufgebaut. Dieses Mal möchte ich einen sauberen Neuanfang machen.«
Cædmon ließ ihre Hand sinken. »Bist du sicher, dass es das ist, was du willst? Dass wir miteinander schlafen?«
Edie konnte an Cædmons Gesicht ablesen, wie seine Gefühle in Widerstreit lagen. Manchmal, und gerade eben war so ein Moment, war er einfach zu sehr Gentleman.
»Ich war letzte Nacht schon sehr kurz davor, zu dir ins Bett zu klettern. Und nur, damit du es weißt, das hier ist kein Rätsel, durch das du dich durchgrübeln musst. Es ist nur Sex, okay?«
Als Edie sah, wie die Unsicherheit in seinen Augen Verlangen wich, erhob sie sich und trat zum Nachttisch.
Cædmon packte sie am Handgelenk und hielt sie mitten in der Bewegung auf.
»Wo gehst du hin?« Seine sonst so kultivierte Stimme hatte einen merklich heiseren Klang.
»Ich dachte, ich schalte die Lampe aus.«
Er zog sie auf seinen Schoß.
»Lass das Licht an.«
47
Nachdem Stan sich vergewissert hatte, dass das gähnende Loch in der Kirchenwand tatsächlich leer war, setzte er sich müde auf die nächste Kirchenbank. Der kräftige Strahl der Stablampe verlieh der kleinen Dorfkirche einen überirdischen Schein. Von den Kirchenfenstern blickten Heilige aus buntem Glas stumm und strafend auf ihn herab. Seine beiden Männer, der eine mit einem Vorschlaghammer in der Hand, der andere mit einer Spitzhacke, standen bereit und warteten auf seine Befehle.
Zum ersten Mal seit fünfundzwanzig Jahren machte Stan sich ernsthafte Sorgen, dass er seine Verpflichtung Gott gegenüber vielleicht nicht würde erfüllen können. Wenn er im Besitz der Bundeslade war, konnte er das Schicksal der Welt nach Gottes heiligem Plan verändern. Doch dazu musste er sie erst einmal finden.
Ich muss die Bundeslade finden.
Diese fünf Wörter hallten in seinem Kopf wider wie eine Katastrophenwarnung in Endlosschleife.
Er stemmte sich aus der Kirchenbank hoch. Ein Krieger Gottes durfte nicht aufgeben.
Während er auf seine Männer zuging, stieß er mit den Füßen zerbrochene Marmorstücke zur Seite. Das jahrhundertealte Relief, das das Leben des heiligen Laurentius dargestellt hatte, war zerstört. Doch die dicke, sächsische Mauer hatte nicht kampflos nachgegeben. Beinahe eine ganze Stunde Arbeit war nötig gewesen, um die gähnend leere Höhle freizulegen.
Bereit, die nächste Schlacht zu schlagen, straffte Stan die Schultern. Ausruhen konnte er sich, sobald die Mission erfüllt war.
»Sieht so aus, als wären wir hier wieder einmal in einer Sackgasse gelandet, was?«
Stan wandte seine Aufmerksamkeit dem Harvard-Wissenschaftler
zu. Bibbernd und mit hängenden Schultern stand er neben dem Haufen zertrümmerter Steine.
»Ja, genau.«
Plötzlich wurde dem Wissenschaftler klar, in welcher Gefahr er schwebte, und er blickte gehetzt von einem zum anderen.
»Hey, Leute! Warum so verbissen? Die Hinweise sind da, versteckt in den Quartetten. Wir müssen einfach nur noch mal zurück zum Reißbrett.« Als er keine Antwort bekam, streckte er nacheinander jedem von ihnen die Hände entgegen. »Einer für alle und alle für einen, richtig?« Als auch das keine Reaktion zeigte, versuchte er es auf eine andere Weise. »Ich schlage vor, wir diskutieren das aus. Alle, die für Friedensgespräche sind, heben die Hand.«
Wortlos
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