Saat des Feuers
einfach so fing sie wieder an, nach abgestandenem Bier und Kotze zu riechen.«
Das war ungefähr zur selben Zeit gewesen, als immer häufiger seltsame Männer auftauchten, und die dünnen Wände des Wohnwagens das Grunzen und Stöhnen nicht hatten dämpfen können.
»Ich nehme an, ich sollte an dieser Stelle erwähnen, dass meine Mutter keine Ahnung hatte, wer mich gezeugt hat. Sie glaubte, es könnte ›der Typ mit der Harley‹ gewesen sein.« Edie zeichnete mit den Fingern ein Paar Anführungszeichen in die Luft. »Aber das ist reine Spekulation.«
Nachdem sie gerade eingestanden hatte, dass sie ein uneheliches Kind war, starrte Edie auf den ausgetretenen Teppich unter ihren Füßen. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, was Cædmon wohl von ihr dachte. Er stammte sicher aus einer versnobten englischen Familie. Ungefähr so wie in der Serie Das Haus am Eaton Place .
»Das klingt, als hätte deine Mutter ein tragisches Leben gehabt«, meinte er leise.
»Wohl eher auf tragische Weise zum Scheitern verurteilt. Jedenfalls
war es kein langes Leben. Sie starb an ihrem achtundzwanzigsten Geburtstag an einer Überdosis. Ich fand sie auf dem Fußboden unseres Wohnwagens, der Song ›Sweet Melissa‹ von den Allman Brothers lief noch auf einem gebrauchten Kassettenrekorder. Es heißt ja, nur die Guten sterben jung, aber …« Sie wischte den Gedanken beiseite. »Egal. Ich bin mir gar nicht sicher, was ich eigentlich sagen wollte.« Sie setzte sich auf den Rand des Bettes, plötzlich unglaublich müde.
»Wie alt warst du, als deine Mutter starb?«
»Hmm?« Verspätet wurde ihr bewusst, dass Cædmon ihr eine Frage gestellt hatte. »Oh, elf.« Elf oder bald vierzig.
»Wenn es dir nichts ausmacht, dass ich das frage: Was geschah mit dir, als deine Mutter starb?«
Edie kaute auf ihrer Unterlippe, während sie mit sich rang, ob sie es ihm erzählen sollte. Doch wie eine führerlose Lokomotive, deren Bremsen nicht funktionierten, war sie nicht mehr aufzuhalten und beantwortete die Frage, die ihr gestellt worden war.
»Ich wurde in eine Pflegefamilie gesteckt. Wir waren fünf. Ein paar waren älter, ein paar jünger. Die Älteren wussten schon, was abging, die Jüngeren waren ahnungslos.«
Cædmon runzelte die Brauen. »Was ging ab? Ich verstehe nicht.«
»Lonny Wilkerson, mein Pflegevater, der Mann, der sich dem Staat Florida gegenüber vertraglich verpflichtet hatte, mir ein sicheres, sauberes und gesundes Zuhause zu geben, hatte eine Schwäche für kleine Mädchen.«
»Der verfluchte Bastard! Erzähl mir nicht, dass er …«
»Ich muss es dir erzählen«, unterbrach sie ihn. Bitte, Cædmon. Lass mich meine Geschichte erzählen. Lass mich diese grauenhafte Erinnerung ans Licht der Welt bringen. In der Hoffnung, dass ich mich dann endlich von ihr befreien kann.
»Eines Nachts kam Lonny in das Zimmer, das ich mir mit den zwei älteren Kindern teilte, und er … er legte mir die Hand auf den Mund, zog mir die Unterhose runter und er … er vergewaltigte
mich.« Während sie sprach, hielt sie den Blick gesenkt. Sie wollte Cædmons Mitleid nicht. Sie wollte auch seine Entrüstung nicht. Sie wollte nur einen Zeugen. »Bis heute kann ich mich nicht an die Einzelheiten erinnern. Es war zu viel, um es verarbeiten zu können. Alles, woran ich mich erinnere … Es war schmerzhaft, es ging schnell, und ich hatte Angst, dass ich ersticke.«
Sie holte tief Luft und sah zu ihm hoch. Genau, wie sie vermutet hatte, war sein Gesichtsausdruck eine Mischung aus Wut und Schmerz.
»Das ist alles, woran ich mich erinnere«, sagte sie mit einem Schulterzucken. »Das, und die Tatsache, dass es von da an zwei Monate lang einmal die Woche passierte. Als Lonny sich an ein neues Mädchen heranmachte, erzählte sie dem Sozialarbeiter, was passiert war, und wir wurden alle in andere Pflegefamilien gesteckt.«
Edie hielt inne, als die alten Schuldgefühle wieder auf sie einstürmten.
»Ich hätte diejenige sein sollen, die das Monster anzeigt, aber …«, sie lachte bitter, »… ich hatte Angst davor, wieder im Stich gelassen zu werden. Davor, wieder von vorne anfangen zu müssen.« Wieder einmal.
»Du warst noch ein Kind«, beharrte Cædmon.
Sie schüttelte den Kopf, da sie über dieses Thema nicht diskutieren wollte. »Jedenfalls, um es einigermaßen kurz zu machen, ein paar Jahre später nahm sich ein Sozialarbeiter meiner an und machte meine Großeltern mütterlicherseits ausfindig. Ich blieb bei ihnen, bis ich volljährig war.« Und
Weitere Kostenlose Bücher