Saat des Feuers
einem Haufen vertrockneter Knochen kam, diesen Knochen Leben einhauchte und so eine mächtige Armee schuf. Vielleicht bin ich ja die Verrückte hier, aber das klingt für mich wie die Art von wahnhafter Prophezeiung, die irgendein einkaufswagenschiebender Obdachloser vor sich hinbrabbelt.«
Mit schmalen Augen funkelte Stanford MacFarlane Edie verächtlich an.
In der Hoffnung, die Wogen glätten zu können, räusperte Cædmon sich. »Obwohl ich nicht so weit gehen möchte, Vermutungen über Ezechiels Geisteszustand anzustellen, weiß ich doch, dass viele Verfasser des Alten Testaments metaphorisch schrieben und nie beabsichtigten, dass ihre Verse von späteren Generationen wörtlich ausgelegt würden.«
»Eines weiß ich mehr als alles andere«, konterte MacFarlane in beißendem Tonfall. »Nicht nur wird sich die göttliche Offenbarung, die Ezechiel zuteilwurde, erfüllen, sondern auch die Schlacht von Gog und Magog wird ausgefochten werden. Nur jene, die auf den Allmächtigen vertrauen, werden dem drohenden Untergang entkommen. Und jene, die gegen die Soldaten von Magog zu den Waffen greifen, werden zweifach gesegnet sein. Sobald die Schlacht geschlagen und gewonnen ist, wird die Bundeslade wieder ihren
rechtmäßigen Platz im neuen Tempel einnehmen. Bereut, und ihr werdet ewig leben. Wendet euch von Gott ab, und ihr werdet verdammt sein.«
»Aber warum bitten Sie mich, dass ich mich Ihnen anschließe? Es ist Jahre her, seit ich das letzte Mal den Fuß in eine Kirche gesetzt habe.«
»Wir können einen Mann mit Ihren speziellen Fähigkeiten brauchen.«
Etwas an dem unbedacht geäußerten Kompliment ließ Cædmon aufhorchen und gab ihm das Gefühl, dass MacFarlane über seine Zeit beim MI5 Bescheid wusste. Seine Fähigkeiten wären für einen Mann wie MacFarlane sehr nützlich. Obwohl ihm eine kleine Armee zur Verfügung stand, lagen Welten zwischen einem Soldaten und einem ausgebildeten Geheimagenten.
»Nun gut. Ich werde mich Ihnen anschließen. Allerdings gibt es da eine Bedingung: Sie müssen Miss …«
»Tu das nicht, Cædmon!«, schrie Edie.
»… Miller freilassen. Es versteht sich wohl von selbst, dass dieser Punkt nicht verhandelbar ist«, fügte er hinzu in der Hoffnung MacFarlane dadurch Schachmatt zu setzen. Und Edie ebenso. Er warf ihr einen Blick zu, mit dem er sie wortlos anflehte, die Klappe zu halten.
»Die Frau weiß zu viel. Man kann ihr nicht trauen«, gab der Colonel zurück.
»Ich vertraue ihr völlig. Ist das nicht genug?«
»Sie ist ein ›zerbrochenes Gefäß‹ und Ihrer Beachtung nicht würdig. Mein Angebot schließt die Frau nicht ein.« Geradezu starr vor Verachtung durchbohrte MacFarlane Edie mit seinem Blick. Fleischgewordener Abscheu.
Cædmon dachte darüber nach, dass Männer wie Stanford MacFarlane Frauen zu allen Zeiten der Geschichte immer wieder und voller Eifer für die Übel der Welt verantwortlich gemacht hatten. Er war immer der Überzeugung gewesen, dass ihr Hass von
einer tief sitzenden Angst vor der angeborenen Weisheit der Frau herrührte. Da er wusste, dass solche Monster in ihrem Herzen ohne Gnade waren, antwortete er: »Ihr Angebot erinnert mich an einen mittelalterlichen Inquisitor, der versucht, einen Ketzer zu bekehren. Ganz gleichgültig, ob der Ketzer bereute oder nicht, das Ganze ging üblicherweise schlecht aus. Jedenfalls für den Ketzer.«
»Wie ich sehe, sind Ihre Augen verblendet, und Sie sind nicht würdig, Gottes Herrlichkeit zu sehen.« MacFarlanes Verachtung verwandelte sich in finstere Wut, und er wandte sich an seine Männer. »Harliss, bereiten Sie den Tabernakel vor!«
»Ja, Sir.« Wie eine Marionette zog Harliss den Reißverschluss einer der übergroßen Ausrüstungstaschen auf.
Vor Scham darüber, dass es ihm nicht gelungen war, Edies Leben zu retten, konnte er ihr nicht in die Augen sehen, deshalb war er überrascht, als sie den Kopf an seine Schulter lehnte.
»Wenn das Ende kommt, dann werden wir wenigstens zusammen sein«, flüsterte sie.
»Ja … das werden wir.«
»Irgendeine Ahnung, was sie vorhaben?« Sie deutete mit dem Kinn auf die zusammengefalteten Stapel verschiedener Materialien, die Harliss aus der Tasche geholt hatte.
»Der Bibel zufolge wurden traditionellerweise ein Dachsfell, ein blaues Tuch und ein dicht gewebter Schleier um die Bundeslade gewickelt, wenn sie transportiert wurde. Ich vermute, die drei Schichten ergaben eine primitive Form von nichtleitender Isolierung. Offensichtlich geht MacFarlane streng nach
Weitere Kostenlose Bücher