doch«, murmelte sie. Es schneite, und sie hatte keine Zeit, einen öffentlichen Parkplatz zu finden, denn die Mall war trotz des schlechten Wetters überfüllt, also riss sie den Schlüssel aus dem Zündschloss, warf ihn in die Tasche und stieg aus dem Jeep.
Die National Gallery of Art war der öffentlichste Ort, den sie sich als Versteck vorstellen konnte. Sie war eines der größten Marmorgebäude der Welt und strahlte eine Aura von Stärke und Sicherheit aus. Und überall waren Wachen. Jede Menge davon. Während sie auf die übergroßen Eingangstüren zulief, versuchte sie, nicht an die toten Wächter im Hopkins-Museum zu denken.
Sie öffnete die Tür und sah dabei auf die Uhr. 14:30 . Das Museum war noch zweieinhalb Stunden geöffnet. Genug Zeit, um sich ihren nächsten Schritt zu überlegen. Hoffentlich hatte C. Aisquith ihre E-Mail erhalten und war bereits auf dem Weg zum Museum.
An der Rezeption öffnete Edie ihre Tasche, und der inspizierende Wächter warf nur einen flüchtigen Blick auf den Inhalt. Wenn er die Packung Spinat bemerkt hatte, dann ließ er es sich nicht anmerken. Nicht gerade beeindruckt von den Anti-Terror-Sicherheitsmaßnahmen des Museums schlang Edie sich die Tasche wieder über die Schulter.
Da sie mit dem Lageplan des Museums vertraut war – sie hatte viele Stunden damit zugebracht, die Ausstellungen anzusehen, als sie vor fast zwanzig Jahren nach Washington gezogen war -, nahm Edie die Rolltreppe und fuhr ein Stockwerk tiefer in die unterirdische Halle, die die beiden Flügel miteinander verband. An der Skulptur von Henry Moore am Fuß der Rolltreppe vorbei betrat sie den Souvenirladen, durch den man in den Cafeteria-Bereich kam. Unablässiges gedämpftes Stimmengewirr umfing sie. Menschen,
die sich unterhielten. Menschen, die mit dem Handy telefonierten. Menschen, die sich poetisch über die wunderschönen Weihnachtskarten ausließen. Das Gewirr all dieser Stimmen wirkte tröstlich und versicherte Edie, dass sie endlich in Sicherheit war.
Sie erreichte das Cascade Café und stellte sich neben den sprudelnden Wasserfall, der dem Café seinen Namen gegeben hatte. Hinter einer riesigen Glasscheibe floss hochgepumptes Wasser unablässig eine Wand aus geriffeltem Granit herab. Die schützende Glaswand stellte ein Stockwerk unter der Erde die einzige Tageslichtquelle der Halle dar, und Edie konnte den winterlich grauen Himmel über sich sehen.
Während der nächsten fünfzehn Minuten musterte sie sorgfältig jeden einzelnen Museumsbesucher, der die Halle betrat. Teenager in GAP. Frauen in Gucci. Museumsmitarbeiter in eintönigem Grau. Und dann sah sie ihn, einen großen, rothaarigen Mann um die vierzig, der eine deutliche Selbstsicherheit ausstrahlte. Anhand seiner Kleidung – einem teuren marineblauen Wollsakko, cremefarbenem Zopfmusterpullover, schwarzen Lederschuhen kombiniert mit blauen Jeans – ging sie davon aus, dass er Europäer war.
Der rothaarige Mann blieb in der Mitte der überfüllten Halle stehen, wandte den Kopf, sah sie an, hielt ihren Blick und sah dann wieder fort.
Entschlossen schritt Edie auf ihn zu. Nachdem sie einen Sommer lang Timeshares in Florida verkauft hatte, scheute sie sich nicht davor, fremde Menschen anzusprechen.
Der Blick des Rothaarigen schweifte zurück in ihre Richtung, und ein fragender Ausdruck lag auf seinem Gesicht.
»
[email protected]?«
Er nickte, blaue Augen musterten sie. »Und Sie müssen Edie103@ earthlink.com sein. Normalerweise würde ich sagen: ›Erfreut, Sie kennenzulernen‹, aber in Anbetracht des düsteren Inhalts Ihrer elektronischen Nachricht wäre das möglicherweise ein wenig verfrüht.«
Ebenso wie Jonathan Padgham hatte er einen kultivierten englischen Akzent.
»Ich bin neugierig. Wie haben Sie mich erkannt? Hier müssen wohl an die hundert Menschen herumlaufen.«
»Zufallstreffer«, antwortete sie schulterzuckend. »Das und die Tatsache, dass Sie die gleiche britische Ich-bin-so-viel-besser-Ausstrahlung haben, wie Dr. Padgham sie hatte.«
Einer seiner Mundwinkel zuckte nach oben. »Hatte? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der alte Padge sich so sehr verändert haben soll.«
Edie schluckte. Der Augenblick der Wahrheit war viel zu plötzlich gekommen.
»Ich sagte ›hatte‹ aus gutem Grund. Er ist tot. Jonathan Padgham wurde vor etwas mehr als einer Stunde getötet. Und zu meinem Pech bin ich die einzige Zeugin des Mordes.«
9
»… und wenn sie uns finden, dann werden wir beide uns wünschen, wir hätten