Saat des Feuers
Panzerglas. Der Mann verwendet verdammte panzerbrechende Geschosse!
Edie, von seinem Gewicht flach zu Boden gepresst, kreischte ihm ins Ohr. Cædmon hob den Kopf und suchte in der panikerfüllten Menge nach dem bewaffneten Riesen.
Der Schütze war nirgends zu sehen. Alles, was blieb, war der gelbe Eimer, aus dessen trüben Tiefen der hölzerne Griff eines Wischmops ragte. Er war vom Tatort geflohen. Oder er hatte sich in eine andere Feuerposition gebracht. So oder so blieben ihnen nur Sekunden, um aus der Halle zu fliehen.
Er stemmte sich auf die Knie und riss Edie dabei mit sich vom Fußboden hoch.
»Was geschieht hier?«, fragte sie mit erstickter Stimme.
»Padghams Mörder hat uns gerade einen Besuch abgestattet.«
»Oh Gott! Wir kommen hier nicht mehr lebend raus!«
Als Cædmon plötzlich klar wurde, dass er es vielleicht bald mit einer hysterischen Frau zu tun bekommen könnte, packte er sie grob an den Schultern. »Wir werden entkommen. Aber nur, wenn Sie ruhig bleiben und genau tun, was ich sage. Verstanden?« Als er keine Antwort erhielt, schüttelte er sie. Heftig. »Verstanden?«
Sie nickte. Zufrieden mit der stummen Antwort – ihre Meinung war unnötig und unerwünscht -, begutachtete er den Schaden. Die Menge – manche rannten, viele kauerten auf dem Boden – hatte sich in eine schreiende, kreischende Masse kollektiver Hysterie verwandelt. Ein zum Leben erwachtes Gemälde von Bosch.
Cædmon richtete den Blick erst hierhin, dann dorthin, um abzuschätzen, wie sie sich am besten durch das Durcheinander kämpften. Rechts befand sich ein tunnelartiger Korridor, links der Souvenirladen. Mit der schwachen Beleuchtung und den zahllosen Ausstellungsvitrinen bot der Souvenirladen die beste Deckung. Er packte Edie bei der Hand und rannte in diese Richtung.
»Wohin laufen wir?«, wollte sie keuchend wissen, während sie mit ihm Schritt hielt.
Er wich einem Museumsangestellten aus, der tatsächlich versuchte, die aufgeschreckte Horde zu dirigieren, wie ein Verkehrspolizist, der die Autos nach einer Massenkarambolage weiterwinkt.
»Wir laufen so weit wie möglich von dieser verrückten Menge weg«, informierte er sie; dabei musste er schreien, um über den
Lärm hinweg gehört zu werden. Über einem Verkaufstresen sah er einen schwarzen Trenchcoat hängen, den sein Besitzer bei der überstürzten Flucht zurückgelassen hatte, und schnappte ihn sich im Vorbeilaufen. Dann duckte er sich hinter eine dicke Säule.
»Schnell! Ziehen Sie das an!« Kurzerhand schob er seiner Begleiterin den Mantel vor die Brust.
»Warum sollte ich …«
»Ihre Aufmachung ist zu auffällig. Das macht Sie zu einem leichten Ziel.«
Edie nahm die Tasche von der Schulter und steckte die Arme in die Ärmel des Trenchcoats. »Mit Ihren roten Haaren stechen Sie aber selbst auch ein wenig hervor.«
»Schon begriffen.« Während er sprach, zog Cædmon im Vorbeilaufen einem asiatischen Teenager mit Brille die Mütze vom Kopf. Der Jugendliche war viel zu verängstigt, um irgendetwas anderes zu tun als einfach weiterzulaufen. Nachdem Cædmon schon einige Terroranschläge der RIRA auf London überlebt hatte, wusste er, dass das Chaos die Eigenschaft hatte, selbst die Widerspenstigsten untypisch nachgiebig werden zu lassen. Er stülpte sich die grüne Kappe mit dem patriots -Logo in goldenen Lettern auf den Kopf, dann streckte er die Hand aus und zog die beiden Seiten des viel zu großen Trenchcoats um Edies Taille und band ihr hastig den Gürtel um.
So getarnt führte er sie im Zick-Zack durch den Souvenirladen, da das das Muster war, dem das menschliche Auge am schwierigsten folgen konnte. Hand in Hand schossen sie von Verkaufstheke zu Säule zu einem weiteren Verkaufstresen. Wenige Sekunden später kamen sie in einen hell erleuchteten Vorraum, der eine Skulptur von Henry Moore beherbergte. Schnell wog Cædmon ihre drei Möglichkeiten ab: Rolltreppe, Aufzug oder Treppe.
Stets das am wenigsten wahrscheinliche Manöver durchführen. Das ist die einzige Möglichkeit, einem entschlossenen Feind zu entkommen.
Die Lektion seiner MI5-Ausbilder war Cædmon noch gut im Gedächtnis, deshalb packte er Edie bei der Schulter und wirbelte sie zur Treppe herum.
»Aber es geht schneller, wenn wir die Rolltreppe nehmen.«
»Schneller vielleicht, aber auch weit gefährlicher.«
Seite an Seite hasteten sie die Stufen empor. Der Treppenaufgang war völlig verlassen, im Gegensatz zu der überfüllten Rolltreppe auf der anderen Seite des Vorraums,
Weitere Kostenlose Bücher