Saat des Feuers
Schattierungen von fahlem Silber bis zu sattem Gold. All das zusammen ergab eine wundersame Art der Reizüberflutung.
»Wo ist die Universität?«, fragte sie und zog die Schultern ein, um nicht mit einer Gruppe Kunden zusammenzustoßen, die die Mittagszeit zum Einkaufen nutzten und gerade aus einem Bekleidungsgeschäft kamen. Sie und Cædmon waren unterwegs zu einem Pub namens The Isis Room, wo sie Cædmon zufolge anscheinend Sir Kenneth Campbell-Brown finden würden.
Cædmon verlangsamte seine Schritte und deutete auf beide Seiten der geschäftigen Durchgangsstraße. »Die Universität von Oxford ist überall und nirgends. Seit wir die Busstation verlassen haben, sind wir bereits an den Jesus, Exeter und Lincoln Colleges vorbeigekommen.«
» Ehrlich ?« Verwundert darüber, wie sie drei Hochschulen hatte übersehen können, drehte Edie den Kopf. Sie wusste, dass die Universität von Oxford aus mehreren Dutzend Colleges bestand, die über die ganze Stadt verteilt waren. Da sie selbst ein College in der Innenstadt besucht hatte, nahm sie an, dass die verschiedenen Gebäude
mit Schildern gekennzeichnet wären. Ganz offensichtlich hatte sie sich da falsche Vorstellungen gemacht.
»Halt nach den Toren Ausschau«, meinte Cædmon und zeigte auf ein beeindruckendes eisernes Portal, das in eine Steinmauer eingelassen war. »Sie führen oft in einen viereckigen Innenhof. Die meisten der Colleges sind nach dem üblichen mittelalterlichen Schema aufgebaut, mit Kapelle und Halle, flankiert von den Unterkünften.«
Edie spähte durch die eisernen Stäbe. Jenseits des Torhauses erhaschte sie einen Blick auf gewölbte Säulengänge, die alle Seiten eines quadratischen Innenhofs umgaben.
»Das ist schon ein beeindruckender Eingang. Ich schätze, er soll dafür sorgen, dass die kleinen Leute draußen bleiben, was?«
»Da ich übermäßig viel Zeit auf der anderen Seite solcher ›beeindruckender‹ Tore verbracht habe, war ich immer der Meinung, sie sollten dafür sorgen, dass die Studenten drinnen bleiben – die Methode des Colleges, eine sklavische Hingabe der Studenten an ihre Alma Mater zu kultivieren.« Edie war sich nicht sicher, aber sie glaubte, aus seiner Stimme einen Hauch Sarkasmus herauszuhören.
»Klingt wie ein akademisches Nimmerland.«
»In der Tat, das war es.«
»Also, wo sind dann die verlorenen Jungs?«
Seine kupferfarbenen Brauen zogen sich kurz zusammen. »Ach, die Studenten. Das Herbst-Trimester ging letzte Woche zu Ende, deshalb ist der größte Teil der Studenten über die Feiertage nach Hause gefahren.«
»Nun, das erklärt natürlich all die herrenlosen Fahrräder.« Sie deutete mit dem Kinn auf eine große Anzahl Räder, die vor einer Stuckwand abgestellt waren. Über der ordentlichen Reihe angeketteter Fahrräder flatterten alte Plakate im Wind. Debattiergruppen. Theatergruppen. Chorgruppen.
Für einen Moment wurde Cædmons Blick weicher. »An ihren Fahrrädern sollt ihr sie erkennen«, murmelte er, und sein Sarkasmus
wich kurzfristig einem Gefühl, das eher an Nostalgie erinnerte.
Überrascht von seinem plötzlichen Stimmungsumschwung musterte Edie ihren Begleiter verstohlen und ließ den Blick von seinem dichten roten Haarschopf bis zu den Spitzen seiner schwarzen Lederschuhe wandern. Langsam wurde ihr bewusst, dass Cædmon Aisquith ein komplizierter Mann war. Oder vielleicht war sie nur schwer von Begriff, wenn es um Männer ging. Mit diesem Hammer-Kuss hatte er sie jedenfalls völlig überrumpelt. Aus irgendeinem idiotischen Grund hatte sie angenommen, dass er, nur weil er so ein Schlaukopf war, auch wie ein Mönch lebte. War das nicht eine dämliche Vermutung? Wenn es nach dem leidenschaftlichen Geknutsche im Bus ging, dann würde er einen lausigen Mönch abgeben. Ich frage mich, wie er wohl als Liebhaber ist.
Nachdem sie einige Augenblicke lang über diese Frage nachgedacht hatte, kam sie zu dem Schluss, dass das unmöglich zu beurteilen war, denn seine kultivierte Art wirkte wie ein verschleiernder Deckmantel. Obwohl der unerwartete Kuss ganz eindeutig auf tiefere Leidenschaft hinwies.
Nichtsahnend, dass er gerade eindringlich gemustert wurde, wandte Cædmon den Kopf, als sie an einem Bankautomaten vorbeikamen.
»Auch wenn ich schwer in Versuchung bin, den Geldautomaten zu benutzen, würde das Stanford McFarlane geradewegs zu uns führen.«
»Keine Sorge. Als Gralshüterin kann ich dir versichern, dass wir noch genug Bares haben, um flüssig zu sein. Zumindest noch für eine
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