Saat des Feuers
sein, als würden Sie nach Hause kommen, nicht?«
»Wohl kaum«, murmelte er. Er hatte keine Lust, ihr von seiner schmutzigen akademischen Vergangenheit zu erzählen. Vor allem, weil sie es ohnehin bald genug selbst herausfinden würde.
Wie die meisten Doktoranden hatte er zwei Jahre mit Feldforschung verbracht. Danach hatte er sich auf seine Studentenbude in Oxford zurückgezogen und angefangen, seine Dissertation zu schreiben. »Das Manifest«, wie er es scherzhaft nannte, war eine ausführliche Untersuchung des Einflusses von ägyptischem Mystizismus auf die Tempelritter. Doch zu seinem Entsetzen kanzelte der Leiter der geschichtlichen Fakultät am Queen’s College seine Dissertation als »absurde« Vorstellung ab, die nur durch den Genuss von Opium hervorgerufen worden sein konnte. Nicht unähnlich der Dichtung von William Blake.
Derartige Kritik kam einem Todesstoß gleich. Seine akademische Karriere war beendet, und er hatte Oxford mit eingezogenem Schwanz den Rücken gekehrt.
Welche Ironie, dass er nun erneut in die Stadt seiner Jugend unterwegs war. Sicher glucksten die Götter vor Lachen und rieben sich erwartungsvoll die Hände.
Er fragte sich, was Edie wohl sagen würde, wenn er ihr erzählte, dass Moses und die Tempelritter in denselben ägyptischen Geheimkult eingeweiht worden waren. Er verkniff sich ein amüsiertes Lächeln. Sicher würden seine Behauptungen eine hochgezogene Augenbraue und eine geistreiche Antwort zur Folge haben. Doch er genoss ihre kleinen Wortgefechte. Sie konnte harte Treffer landen, aber sie war auch unvoreingenommen.
Er hoffte, dass Sir Kenneth Campbell-Brown ebenso unvoreingenommen sein würde. Falls nicht, dann waren sie vergeblich nach Oxford gekommen.
Während Edie aus dem Fenster starrte, starrte Cædmon wiederum sie an. Die geraden Brauen verliehen seiner Begleiterin einen entschieden ernsten Gesichtsausdruck, der so gar nicht zu ihrer überschäumenden Persönlichkeit passte. Dann waren da ihre
weichen Lippen und die blasse, viktorianisch zarte Haut. Als er Edie Miller das erste Mal gesehen hatte, war sie ihm wie eine ungewöhnliche Mischung aus präraffaelitischer Schönheit und skurriler Moderne vorgekommen.
Ohne nachzudenken hob er die Hand, legte sie ihr unters Kinn und drehte langsam ihr Gesicht zu sich herum. Verblüfft starrte sie ihn mit großen Augen und offenem Mund an. Perfekt , dachte er, als er sich zu ihr beugte, um festzustellen, ob diese Lippen so weich waren, wie sie aussahen.
Wunderbarerweise waren sie das.
Da er sie nicht um Erlaubnis gefragt hatte, streichelte er ihren Mund nur sanft mit den Lippen, aus Sorge, sie könnte vor seiner Anmaßung zurückscheuen. Einige Augenblicke lang spielte er den Gentleman, übte sanften Druck aus und vertiefte den Kuss nur langsam. Bis sie etwas an seinen Lippen flüsterte. Er hatte keine Ahnung, was es war. Er wusste nur, dass diese unzusammenhängende Äußerung unglaublich erotisch klang, und da die biologische Reaktion eines Mannes ähnlich simpel wie ein Abzugsmechanismus funktioniert, drängte er ihr die Zunge in den Mund, umfasste mit der Hand ihren Nacken und nahm sie regelrecht gefangen. Mit geöffneten Lippen küsste er sie tief und feucht.
Mehrere Augenblicke lang küsste er sie wie ein Verrückter, ließ die Hand von ihrem Nacken hinunter zu ihrem Rücken gleiten und zog sie enger an sich, hörte nicht auf, bis sich ihre Brüste an ihn pressten.
Hörte nicht auf, bis er von der gegenüberliegenden Seite des Mittelgangs hörte, wie jemand empört die Luft einzog.
Abrupt und ein wenig verlegen beendete er den Kuss und räusperte sich, wobei er hoffte, dass sie die sichtbare Beule zwischen seinen Beinen nicht bemerkte.
»Das war nicht geplant und … Ich bitte um Vergebung, wenn ich mich unangemessen verhalten habe.« Seine Wangen röteten sich bei dieser unbeholfenen Entschuldigung.
Feuchte Lippen kräuselten sich zu einem bezaubernden Lächeln. »Das Einzige, was du falsch gemacht hast, ist, dass du mit dem Kuss viel zu früh aufgehört hast.« Dann warf Edie einen Blick aus dem Fenster. »Sieht so aus, als wären wir gerade in Oxford angekommen.«
33
Verstohlen musterte Edie die Gebäude entlang der High Street, in der Hoffnung, dass sie dabei nicht zu ehrfürchtig aussah.
Wohin sie auch blickte, überall fanden sich Hinweise auf Oxfords mittelalterliche Vergangenheit. Manche davon dezent, manche auffällig. Zinnen. Tortürme. Erkerfenster. Und Stein. Jede Menge Stein. In allen
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