Saat des Feuers
Irrgarten lavierte, musste sie sich ein Lächeln verkneifen.
Nachdem er sie durch den Boskettgarten manövriert hatte, schlenderten sie durch ein kleines Wäldchen aus Zedern und Blutbuchen, und als Edie durch die Äste der Bäume spähte, stockte ihr der Atem.
Rose Chapel war wunderschön anzusehen, selbst im kahlen Kleid des Winters. Die Kapelle war aus grob behauenem Bruchstein erbaut, wunderschön durchsetzt mit Bogenfenstern aus buntem Bleiglas. Neben der Kapelle befand sich ein dreistöckiger normannischer Turm, der mit seiner schlichten Fassade und den Schießscharten irgendwie fehl am Platz wirkte. Turm und Kapelle schienen miteinander verbunden wie das männliche und weibliche Prinzip von Yin und Yang.
Sir Kenneth trat durch eine pietätlos kanariengelb gestrichene Tür und führte sie in eine Empfangshalle. Mit theatralischer Geste nahm er den roten Schal ab und drapierte ihn um die Marmorbüste eines kahlköpfigen Mannes mit Adlernase.
»Wer ist das?«, flüsterte Edie leise.
»Papst Clemens V.«, flüsterte Cædmon ebenso leise zurück.
Eine ältere Frau in schlichtem marineblauem Kleid – Edie schätzte sie auf um die fünfzig – eilte in die Empfangshalle. Jede Vermutung, dass diese Frau Mrs. Campbell-Brown sein könnte,
wurde sofort zerstreut, als sie unterwürfig den Kopf senkte und sagte: »Guten Tag, Sir Kenneth.«
Sir Kenneth quittierte ihre Begrüßung mit wenig mehr als einem knappen Nicken, zog die lederne Bomberjacke aus und hielt sie der Frau hin. Mit einer abwesenden Handbewegung bedeutete er Edie und Cædmon, es ihm nachzutun.
»Kurz nachdem Sie gegangen sind, wurde die Fichte geliefert«, informierte die nun mit drei Jacken beladene Haushälterin den Herrn des Hauses höflich.
Sir Kenneth warf einen Blick auf den wunderschönen, aber ungeschmückten Weihnachtsbaum, der auf der anderen Seite des Raumes aufgestellt worden war.
»Mrs. Janus hat die verdrießliche Angewohnheit, auf das Offensichtliche hinzuweisen.« Er wies auf die gestapelten Kartons auf dem Konsolentisch. »Bitte sehen Sie über den Weihnachtskram hinweg. Mrs. Janus hat ebenfalls die verdrießliche Angewohnheit, Rose Chapel mit Stechpalmenzweigen und haufenweise Satinschleifen zu dekorieren.«
Edie, der Sir Kenneths hochmütiger Ton nicht gefiel, ging zum Tisch und hob vorsichtig einen gläsernen Engel aus seinem Bett aus Seidenpapier. Als sie ihn hochhielt, fingen seine goldgesäumten Flügel das winterliche Licht ein. »Das ist wunderschöner Weihnachtsschmuck«, sagte sie lächelnd zu Mrs. Janus.
»Der ist aus Polen.«
Ohne dass sie darauf hingewiesen worden wäre, spürte Edie, dass die Weihnachtsfeiertage für Mrs. Janus besonders schwer waren. Wie viele Einwanderer sehnte sie sich zweifellos nach den Traditionen ihres Heimatlandes. Vorsichtig legte sie den zerbrechlichen Engel wieder in seine Schachtel zurück. »Ich bin sicher, es wird ein wunderschöner Baum.«
»Die Weihnachtszeit ist eine Zeit der Freude und der Erinnerungen«, antwortete die Haushälterin, wobei sie ihrem Arbeitgeber einen schnellen Blick zuwarf.
»Und des heißen Glühweins«, bellte Sir Kenneth laut. »Und bringen Sie uns ein paar von den kleinen Pastetchen, die Sie in den Ofen geschoben haben.«
Nachdem er seine Anweisungen erteilt hatte, führte Sir Kenneth Edie und Cædmon einen Flur entlang, öffnete, ganz Feudalherr, eine getäfelte Tür und stolzierte in einen großen, hohen Raum. Edie wollte ihm schon folgen, doch dann zögerte sie, erschrocken über die steinernen Fratzen, die den Türrahmen flankierten.
»Ist das nur meine Einbildung, oder hat diese grottenhässliche Kreatur gerade ihre Lippen bewegt?«
»Das ist das Spiel von Licht und Schatten«, klärte Cædmon sie auf. »Sir Kenneths Art, Furcht in den Herzen all derer zu säen, die sein sanctum sanctorum betreten.« Angesichts der offensichtlich erbitterten Rivalität zwischen den beiden Männern war Edie nicht überrascht über Cædmons sarkastischen Tonfall.
Auf einen Blick erkannte sie, dass das sanctum sanctorum ursprünglich die eigentliche Kapelle gewesen war. Das wuchtige Deckengewölbe, der Steinboden und ein dreiteiliges Kirchenfenster waren eindeutige Zeichen. Alles zusammengenommen war es ein beeindruckender Anblick. Vorausgesetzt, man ignorierte das halbe Dutzend Katzen, die überall im Raum verteilt vor sich hin dösten. Ein Stubentiger mit ausgefransten Ohren, der oben auf einem Bücherregal lag, hob schläfrig den Kopf, der Rest der Sippe nahm
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