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Saat des Feuers

Saat des Feuers

Titel: Saat des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Palov
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keinerlei Kenntnis von ihrem Eindringen.
    Edie versuchte, nicht mit offenem Mund zu staunen, während sie den Raum musterte. Manches, wie die mittelalterlichen Kandelaber, fügte sich harmonisch ein. Andere Gegenstände, wie das moderne Regal, das mit Schallplatten in durchsichtigen Plastikhüllen vollgestopft war, wirkten auffallend fehl am Platz in der mittelalterlichen Umgebung.
    »Ich möchte behaupten, dass Sie hier die beste Sammlung amerikanischer Rock’n’Roll-Musik aus den 50ern in ganz Großbritannien vor sich sehen«, bemerkte Sir Kenneth, der bemerkt hatte, worauf
ihr Blick gerichtet war. »Die Musik meiner Jugend, wie Sie zweifellos bereits kombiniert haben.«
    Edie hatte ebenfalls bereits kombiniert, dass Musik nicht die einzige Leidenschaft des Professors war. An der Wand, die ihr am nächsten war, hing ein Schwarz-Weiß-Poster von Mae West, der verführerischen Film-Diva der 30er-Jahre, deren kurvige Figur in ein Abendkleid aus Satin gegossen war. Neben dem Poster hing ein mächtiges Tierhorn. Das grässliche Ding hatte eine leuchtend blaue Quaste und war mit graviertem Silber verziert. Nur zu gut konnte sie sich vorstellen, wie Sir Kenneth, in seinen roten Kaschmirschal und die braune Bomberjacke gekleidet, aus diesem Trinkhorn Gin Tonic wie Leitungswasser kippte.
    »Meine Liebe, bevor Sie mich wieder verlassen, müssen Sie einen Blick auf meine Sammlung von Inkunabeln werfen.« Sir Kenneth deutete auf ein Bücherregal, das vor ledergebundenen Bänden überquoll.
    Edie, die nicht die geringste Idee hatte, wovon er sprach, bedachte das Bücherregal mit einem flüchtigen Blick, wobei ihr wieder ein Philosophieprofessor in den Sinn kam, der sie einst zu sich nach Hause eingeladen hatte, um ihr seine Sammlung von Chagall-Drucken zu zeigen. Sie drängte sich ein wenig enger an Cædmon.
    Sir Kenneth deutete auf zwei Polsterstühle, die vor einem mit Papier überhäuften Schreibtisch standen, einer der Papierstapel beschwert von einem rostigen Astrolabium, ein anderer mit einer Schneekugel des Empire State Building. Hinter dem Schreibtisch, wunderschön in Gold gerahmt, hing eine Reproduktion des Gemäldes von Trumbull, das die Unterzeichnung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung darstellte.
    »Sir Kenneth hat eine Vorliebe für alles Amerikanische«, flüsterte Cædmon ihr ins Ohr, während er eine dösende Katze von seinem Stuhl vertrieb. »Sei auf der Hut.«
    »Dafür bist du ja da, Big Red«, flüsterte sie zurück.
    Sir Kenneth schlenderte zu ihnen herüber und schlug Cædmon
jovial auf den Rücken. »Das mittlere Alter steht Ihnen, Aisquith.« Dann wandte er seine Aufmerksamkeit Edie zu. »Als er hier in Oxford ankam, war er ein schlaksiger Junge mit einem Schopf ungebändigter roter Haare.«
    Grinsend musterte Edie Cædmon von oben bis unten. »Hmm. Klingt süß.«
    »Ah! Die Dame hat eine Schwäche für rothaarige Knaben.« Als Sir Kenneth sich hinter den Schreibtisch setzte, hörte Edie ihn murmeln: »Der glückliche Mistkerl.«

36
    Wie er so in Sir Kenneths Arbeitszimmer saß, eingehüllt in den Duft von feuchter Wolle und muffigem Leder, überkam Cædmon eine unerwartete Welle schmerzhafter Nostalgie. Um den Anschein äußerlicher Ruhe bemüht, betrachtete er das bunte Kirchenfenster, das den Raum beherrschte. Das dreigeteilte, wunderschöne Stück mittelalterlicher Kunst zeigte die Verführung im Garten Eden.
    Unverhohlen phallische Schlange. Leuchtend roter, saftiger Apfel. Hände schamhaft über mit Feigenblättern bedeckte Genitalien gelegt.
    Aus irgendeinem unerfindlichen Grund erinnerte es ihn an seine Studentenzeit in Oxford – vielleicht, weil auch er es gewagt hatte, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Und wenn er der unglückselige Adam war, dann konnte Sir Kenneth Campbell-Brown nur der hintertriebene Luzifer sein, obwohl er in seiner leicht zu beeindruckenden Jugend seinen Mentor in einer weit erhabeneren Rolle gesehen hatte.
    Als brillanter Wissenschaftler, strenger Zuchtmeister und manchmal unberechenbar grausamer Bastard hatte Sir Kenneth von seinen Studenten unerschütterliche Treue verlangt. Im Gegenzug hatte er seinen Schützlingen ein unvergessliches akademisches
Erlebnis geschenkt. Stets mit dem Gedanken daran, dass sich in den Anfängen von Oxford Gruppen junger Studenten um die berühmtesten Lehrer ihrer Zeit geschart hatten, hielt Sir Kenneth die Tradition aufrecht, indem er wöchentliche Tutorien innerhalb der steinernen Mauern von Rose Chapel

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