Saat des Feuers
der Regentschaft Rehabeams zog dem Buch der Könige zufolge ›Schischak, der König von Ägypten, gegen Jerusalem herauf und nahm die Schätze im Hause des Herrn und die Schätze im Hause des Königs; alles nahm er weg.‹«
»Was bedeutet, dass der Pharao die Bundeslade stahl!« Als ihr Ausruf nur Schweigen erntete, zog Edie die Brauen über der Nase zusammen. »Nun, was könnte es denn sonst bedeuten?«
»Im Alten Testament wird mit keinem Wort erwähnt, Schischak habe die Bundeslade geraubt. Es wird nur berichtet, dass es dem Pharao gelang, mit fünfhundert Schilden aus getriebenem Gold abzuziehen.«
»Salomons berühmte Schilde«, murmelte Cædmon.
»Es gibt ein paar Bibelhistoriker, die die Theorie aufgestellt haben, dass Salomon König Rehabeam die fünfhundert goldenen Schilde freiwillig aushändigte, um eine Ehrenschuld zu begleichen. Jahre früher hatte der Pharao dem ungeratenen hebräischen Prinzen Asyl gewährt, als dessen Vater seine Hinrichtung befohlen
hatte. All diese mörderische Rivalität zwischen Familienmitgliedern ist es, was die Bibel zu so einem vergnüglichen Leseerlebnis macht«, bemerkte Sir Kenneth nebenbei, wobei er Edie anzüglich zuzwinkerte.
»Gibt es noch andere historische Berichte, abgesehen vom Alten Testament, die Schischaks Einfall in Israel erwähnen?«, fragte Cædmon und wünschte sich, der andere Mann würde beim Thema bleiben.
»Die einzige andere Erwähnung ist eine Inschrift im Tempel des Amun-Re in Luxor, derzufolge Schischak nach seinem Angriff auf Jerusalem offensichtlich im Tal Esdrelon Halt machte, wo er eine Gedenksäule errichten ließ. Der damalige Brauch forderte, dass Schischak den Göttern seine Dankbarkeit zeigte, indem er ihnen ein ansehnliches Opfer darbrachte. Wie das Finanzamt, so muss man auch immer seinen Gott zufriedenstellen. Und um Ihre nächste Frage zu beantworten: Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, was Schischak mit seiner unrechtmäßigen Beute machte, sobald er in seine Hauptstadt Tanis zurückgekehrt war.«
»Ich dachte, die Bundeslade befände sich in Schischaks Grab. Wenigstens ist das die Theorie aus Jäger des verlorenen Schatzes «, meinte Edie im Plauderton.
Zu Cædmons Überraschung lächelte Sir Kenneth, anstatt Edie dafür zu tadeln, dass sie die fiktive Handlung eines Kinofilms in die Diskussion einbrachte. »Sie sind absolut bezaubernd, meine Liebe. Aber Sie haben, was Schischak und die Bundeslade betrifft, einen fehlerhaften Schluss gezogen. Wie ich bereits vorhin erwähnte, gibt es keine Belege dafür, dass Schischak die Bundeslade raubte.«
»Es liegt doch nahe, dass Schischak, wenn seine Armee schon Jerusalem einnahm, auch Salomons Tempel geplündert hat«, argumentierte Cædmon. »Schließlich bestand ja der einzige Grund, Israel zu überfallen, darin, so viele Schätze zu rauben, wie sie einsacken konnten.«
»Und welchen Beweis haben Sie, dass Schischak tatsächlich den begehrten Schatz in die gierigen Finger bekam?«
»Wie Sie schon sagten, es gibt keinen direkten biblischen Nachweis darüber. Andererseits legt die Vernunft nahe, dass …«
»Unsinn! Die Vernunft legt das nicht nahe!«, brauste Sir Kenneth auf und unterstrich seine Zurückweisung, indem er die Faust auf die Armlehne seines Stuhls niedersausen ließ. »Ihre Annahmen sind unbegründet. Sie wären gut beraten, junger Aisquith, von fantastischen Folgerungen abzusehen.«
Nachdem er diese Warnung ausgesprochen hatte, sprang der wollköpfige Professor auf und schritt zu einem Fenster in der Nähe hinüber. Trotz der winterlichen Temperaturen stieß er das Fenster auf und ließ einen Schwung kalter Dezemberluft herein. Das jahrhundertealte Glas fing die Mittagssonne ein und hüllte den älteren Mann in einen silbergrauen Heiligenschein.
» Reginae erunt nutrices tuae! «, brüllte er den kahlen Bäumen zu, die den Kirchhof säumten.
Edie fiel beinahe das Kinn herunter, so groß war ihr Erstaunen.
Cædmon, der schon viele Male Zeuge dieser Darbietung gewesen war, erhob sich, ging zum Kaffeetisch hinüber und nahm sich zwei Pasteten mit Pekannüssen von einem Porzellanteller. Er reichte Edie eines der Törtchen. »›Königinnen sollen deine Ammen sein‹«, übersetzte er. »Das ist der Wahlspruch des Queen’s College, entnommen aus dem Buch Jesaja.«
Während er sein Törtchen verspeiste, blickte Cædmon an dem wolligen Kopf am Fenster vorbei und erspähte die kleine steinerne Terrasse, die auf den Boskettgarten hinausging. In der Blütenfülle
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