Sabihas Lied
Blicke zu und dann Bruno.
John blieb an Brunos Tisch stehen.
Bruno nahm den Krug und goss Wein in sein Glas, sah den rubinroten Strahl aus dem Schnabel schieÃen, legte den Kopf schief und hielt das Glas ins Licht, um die Farbe auf sich wirken zu lassen. Dann stellte er den Krug beiseite und nahm einen winzigen Schluck, als wollte er den Wein erst kosten.
»Der taugt wirklich nichts, John«, sagte er enttäuscht. »Ich kenne da einen Italiener, der dir einen guten Preis machen würde, für einen deutlich besseren Tropfen.« Er lächelte Nejib an. »Meine Landsleute bauen nämlich nicht nur Tomaten an.« Bruno erhob sein Glas, prostete seinem Nachbarn zu und sagte dann mit leiser Ironie: »Vom Propheten verdammt, nicht wahr, Nejib?«
John überlieà die beiden ihrem Geplänkel und ging in die Küche. Dort sagte er zu Sabiha: »Irgendwann werden sich Bruno und die beiden anderen richtig in die Haare geraten. Ich hoffe nur, dass es nicht hier passiert. Bruno sollte sich besser zusammenreiÃen.«
Im Speiseraum nahm Bruno einen tiefen Schluck des Weines, den er eben verunglimpft hatte, ohne den Blick von Nejib zu wenden. SchlieÃlich war es Nejib, der als Erster wegsah â was von Bruno mit einer Bemerkung quittiert wurde. Vielleicht war es gar keine Bemerkung, sondern nur ein auftrumpfender Laut, der seine Ãberlegenheit demonstrieren sollte. Er stellte das Glas wieder ab, wischte sich mit den Fingern über die Lippen und legte sich die Serviette auf den SchoÃ.
Bruno hob den Kopf, als John auf seinen Tisch zukam, drei tiefe Teller voll dampfender Harira geschickt auf einem Arm balancierend und einen vierten Teller in der anderen Hand. Er stellte Bruno den Lammeintopf mit Kichererbsen hin, wünschte ihm guten Appetit und ging zum nächsten Tisch, wo er Nejib und dessen stummen Gefährten bediente.
Als Bruno sich über den Teller beugte und den würzigen Duft einatmete, blitzten seine Augen vor Vergnügen. Er bekreuzigte sich, nahm mit einer Hand ein Stück Brot und mit der anderen die Gabel und stürzte sich in den Genuss seines Dienstagsessens. Genauso gut hätte er bei sich zu Hause in der eigenen Küche sitzen können, so, wie er Nejib und den anderen nun ignorierte oder besser gesagt ausblendete.
Nach einer Stunde blieb Bruno als letzter Gast zurück. Er streckte die Beine unter dem Tisch aus, legte die Knöchel übereinander, fuhr sich abwechselnd mit einem Zahnstocher im Mund herum oder nippte an seinem Weinglas. Irgendwann gab er ein Rülpsen von sich, und man hätte ihn für einen Gutsverwalter aus früheren Zeiten halten können, der es sich wohlgehen lieà und sich eine ausgedehntere Pause genehmigte, während unbedeutendere Männer von ihren Dienstherren längst dazu angehalten worden waren, sich wieder an die Arbeit zu machen. Es wirkte etwas selbstherrlich und auch zeitlos, wie dieser Prachtkerl allein im bescheidenen Speiseraum saà und ins Leere blickte, in seinen Tagtraum versunken, so gelassen und im Einklang mit sich selbst, dass ihn andere, weniger zufriedene Männer gewiss beneidet hätten. Die eigene Verletzlichkeit war Bruno gar nicht bewusst.
Er räusperte sich, legte den Zahnstocher in den Aschenbecher, trank seinen Wein aus und schob den Stuhl zurück. Er wollte gerade aufstehen, als Sabiha in den Raum trat. Beim Rasseln des Perlenvorhangs drehte Bruno sich um. Wie ungewöhnlich, die Dame des Hauses an einem Dienstag um diese Zeit auÃerhalb der Küche zu erleben. Tatsächlich hatte er sie noch nie im Speiseraum gesehen. In nervöser Erwartung machte er es sich wieder auf dem Stuhl bequem.
Obwohl sie sich seit drei Jahren kannten, wusste er nichts über Sabiha. Sie war eine Frau, die man im Stillen bewunderte. Bruno fühlte sich von ihr leicht eingeschüchtert und hatte sich oft gefragt, wie es für John sein mochte, mit einer solchen Frau verheiratet zu sein. Wozu soll eine Ehe gut sein, was ist ein Leben wert, wenn ein Mann abends nach der Arbeit keine Kinder vorfindet, die ihn beglücken und später seinen Namen weitergeben, nachdem er das Zeitliche gesegnet hat? In Brunos Augen war Sabiha keine Frau wie alle anderen, sondern schien fast einer fremden Gattung anzugehören, sie war keine einfache, züchtige Frau und Mutter, sondern eher Gegenstand von Männerfantasien. Sie war ja nicht einmal Christin. Für Bruno, den frommen Katholiken, gehörte
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