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Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Miller
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Sabiha einer ganz anderen Welt an: Sie war exotisch, hochmütig, schön, unnahbar und hatte ihn in den vergangenen Jahren immer wieder zum Staunen und Spekulieren gebracht.
    Nun trat sie an seinen Tisch und stellte ihm einen kleinen blau-weißen Teller hin. Darauf lagen zwei aromatische honiggetränkte Briouats. Als Sabiha neben ihm stehenblieb, streifte sie mit der Hüfte flüchtig seine Schulter. Mit sanfter Stimme sagte sie: »Ein süßer Gruß von Sabiha an Bruno.« Nach diesem erstaunlichen Auftritt drehte sie sich um und ging in die Küche zurück.
    Bruno fuhr auf dem Stuhl herum, von ihren Worten ebenso verstört wie vom Druck ihrer Hüfte gegen seine Schulter. Er fühlte, wie ihm die Wärme dieser Berührung in die Wangen stieg. Ein Glück, dass er mittlerweile allein im Café saß und Nejib und dessen finsterer Gefährte seine Verwirrung nicht mitbekamen. Er blickte Sabiha hinterher, bis der Vorhang hinter ihr fiel, beobachtete das Pendeln der Schnüre, lauschte dem Klacken der Perlen, rechnete halb damit, dass sie zurückkommen und über seine Verblüffung lachen würde. Nach einer Weile drehte er sich wieder um und blickte auf das Tellerchen mit dem Gebäck.
    Ein stechender Schmerz durchzuckte seine Leistengegend. »Ach!«, rief er und atmete tief ein. Er streckte und dehnte die Arme und Schultern, um seine Anspannung zu lösen. Dabei roch er die Briouats, als könnte er Sabiha selbst riechen. Die unzähligen Schichten ihres goldenen Filoteigs, um eine süße Mandelpaste gewickelt und mit Orangenblütenwasser verfeinert, ofenwarm in heißen Honig getunkt. Da lagen sie vor ihm. Ihre Opfergabe. Die Stille rauschte ihm in den Ohren. Er sah sich um. Keiner da, der ihn beobachten konnte. Er nahm eines der Gebäckstücke zwischen Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand, ganz behutsam. Seine Gedanken rasten, und wieder hörte er ihr sanftes Ein süßer Gruß von Sabiha an Bruno. Er führte es zum Mund und biss hinein. Die Briouat war noch warm. Wer konnte Sabihas Gebäck schon widerstehen? Beim Kauen machte er die Augen zu. Es schmeckte himmlisch.
    Bruno aß beide Briouats, genoss jeden Bissen mit geschlossenen Augen, spürte die warme Berührung von Sabihas Hüfte, als sie ihn vorhin gestreift hatte. Ihm kribbelten die Schenkel auf eine Art und Weise, die er seit den Anfängen seiner Ehe mit Angela nicht mehr erlebt hatte. Er stöhnte leise auf. Was sollte er nur davon halten? Er leckte sich den Honig von den Fingern, presste die Lippen zusammen und schob das leere Tellerchen beiseite. Die Sache wurde ihm langsam unheimlich …
    Er wusste bereits, dass er Angela nichts davon erzählen würde, wenn sie am Abend beim Ofen zusammensaßen, er würde es für sich behalten. Und das löste in ihm Schuldgefühle aus. Ob Angela ihm wohl ansehen würde, dass er ihr etwas verschwieg? Normalerweise vertrauten sie einander alles an, sie hatten Freude daran, sich abends bis ins kleinste Detail zu erzählen, was sie tagsüber erlebt hatten. Ob er die Briouats dann später aus Versehen erwähnen würde, weil er sich nicht mehr in Acht nahm? Allein der Gedanke beunruhigte ihn. Aber wie sollte er das seiner Frau in aller Ruhe und Unschuld erklären, wenn es nichts zu erklären gab? Er hatte nichts getan, allerdings hatten ihn Sabihas Berührung und ihr sanft-vertraulicher Ton erregt. Bruno war davon überzeugt, dass Angela sofort Bescheid wüsste, wenn er die Briouats auch nur beiläufig erwähnte. Er konnte förmlich spüren, wie sie seinen Verrat durchschauen würde. Eine schreckliche Vorstellung.
    Er stand auf und fegte sich die klebrigen Krümel von der Hose. Dann fuhr er sich mit der Zunge zwischen die Zähne, um letzte Teigreste zu entfernen, wischte sich mit den Fingern über die Lippen, starrte unschlüssig auf das blau-weiße Tellerchen. Schließlich fasste er sich ein Herz, nahm den Teller und ging zum Perlenvorhang. Er raffte ihn beiseite und steckte den Kopf in die Küche. Plötzlich bekam er einen trockenen Mund.
    Â»Madame Patterner?«, rief er, ohne zu wissen, was er sagen sollte, falls sie in die Küche käme und ihn nach seinen Wünschen fragte.
    Seine Kiste Grosse Lisse stand immer noch vor der offenen Tür. Draußen wartete Tolstoi und sah die Tomaten lauernd an, als rechnete er damit, dass jeden Moment eine Maus aus der Kiste

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