Sabihas Lied
wieder vorbei wäre. Sabiha versäumte es nie, sich nach dem Wohlbefinden seiner Frau Angela zu erkundigen, und im Gegenzug versicherte er ihr, dass seine Frau sich bester Gesundheit erfreute. Mehr Austausch hatte es zwischen Bruno und Sabiha bisher nicht gegeben.
Vor drei Jahren war Bruno im Café aufgetaucht, um seine Gewächshaustomaten anzubieten. An jenem Tag wurde er von einem auffallend schönen Jungen im Teenageralter begleitet, fast schon ein junger Mann. Bruno hatte ihn John voller Stolz als seinen ältesten Sohn vorgestellt. Bruno der Zweite, als gehörten beide einem alten Adelsgeschlecht an. Ab und zu half der Junge seinem Vater auf dem Markt aus, aber dienstags kam Bruno der Erste immer allein ins Café.
An diesem Dienstag reagierte Sabiha ein wenig anders als sonst auf seine BegrüÃung. Sie wandte sich um und musterte ihn einen Moment, bevor sie sagte: »Guten Tag, Bruno.« Er hatte das Gefühl, dass sie ihn kritisch in Augenschein nahm, fast wie bei einem Verhör. »Die Harira ist gleich fertig. Und die Tomaten sehen ja wundervoll aus.« Auch nach der BegrüÃung verweilte ihr Blick ein wenig länger als üblich auf ihm, bevor sie sich wieder ihren Töpfen zuwandte.
Bruno überlegte, ob es vielleicht an seiner Kleidung lag, und prüfte schnell, ob alles in Ordnung war. Er war gut einen Meter achtzig groÃ, Mitte vierzig, ein kräftiger Bauer mit wachen blauen Augen, einer leicht abgeflachten Nase und den muskulösen Armen und Schultern eines Ringers. Mit Anfang zwanzig hatte er in der Cruisergewichtsklasse geboxt und strahlte das gelassene Selbstbewusstsein jener Männer aus, die ihre Körperkraft und ihren Mut schon früh an anderen erprobt haben.
Als er auf dem Weg in den Speiseraum die Küche durchquerte und an Sabiha vorbeiging, stieg ihr ein herber Tomatengeruch in die Nase. »Sie bringen uns jeden Dienstag gute Landluft in die Stadt, Bruno.« Sie drehte sich um, sah ihm direkt in seine klaren blauen Augen und lächelte.
Bruno, der gerade den Perlenvorhang beiseiteraffen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne und sah Sabiha befremdet an. Er wusste nicht recht, wie er auf diese höchst unerwartete Bemerkung antworten sollte. Es entstand eine Pause, die in Peinlichkeit ausgeartet wäre, wenn er nicht einfach »Danke« gesagt und seinen Weg in den Speiseraum fortgesetzt hätte. Kaum war er durchgegangen, fielen die Perlenschnüre wieder an ihren Platz.
Die Männer sahen alle von ihrem Teller auf, als Bruno rasselnd durch den Vorhang trat. Es war Dienstag, der italienische Kraftprotz kam. Mit einem Achselzucken nahmen die Männer ihre Gespräche wieder auf. Allerdings unterhielten sie sich eine Spur leiser als zuvor, seit Brunos Ankunft war die Atmosphäre im Raum etwas weniger zwanglos und entspannt. Seine Anwesenheit war ihnen alles andere als lieb, aber sie duldeten ihn, weil er Johns Gast war.
Bruno blieb neben seinem Tisch stehen, mit einer Hand auf der Stuhllehne, und sah sich zunächst im Raum um. Mit amüsiertem Blick und leicht arroganter Haltung taxierte er die Gäste wie eine Herde Vieh. Dann zog er den Stuhl zurück und setzte sich hin. Von seiner Position aus beherrschte er den ganzen Raum. Keiner dieser Männer hatte jemals hinter den Vorhang treten dürfen.
John kam hinter dem Tresen hervor, um Bruno zu begrüÃen. Er stellte ihm einen Krug mit einem halben Liter Rotwein und ein Körbchen mit frisch aufgeschnittenem Brot hin.
»Na, stehen Tomaten auch diese Woche so hoch im Kurs?«, fragte er. »Ist dir immer noch nach Feiern zumute?«
Bruno brach ein Stückchen Brot ab und steckte es sich in den Mund. Beim Kauen sah er nicht John an, sondern den Mann am Nebentisch. Der Mann hielt seinem Blick ungerührt stand.
»Inzwischen ist der Preis leicht gefallen«, sagte Bruno und lachte. »Schuld sind die verdammten Italiener. Jeden Herbst wieder das gleiche Spiel.«
Der hochgewachsene Mann am Nebentisch war Nejib, der Oud-Spieler, der Sabiha samstagabends begleitete. »Das sind doch deine Landsleute. Warum machst du sie schlecht?«, sagte er.
Nejibs Tischgenosse sah Bruno an und hörte dem Wortwechsel aufmerksam zu. Dabei befingerte er seinen Schnurrbart. Seine Augen funkelten. Sie saÃen oft zusammen, diese beiden, Nejib und der schweigsame Mann mit dem sorgfältig gepflegten Schnurrbart.
Ein paar andere Gäste lachten, warfen erst Nejib
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