Sabihas Lied
hatten. John winkte André zu, bevor er wieder hineinging. Die Post legte er auf die Arbeitsplatte in der Küche, ging ins Bad und zog sein Hemd aus. Beim Rasieren hörte er, wie die Angestellten der Reinigung am Ende der Gasse zur Arbeit erschienen.
Nach dem Frühstück trug er die Post ins Wohnzimmer. Er machte das Licht an. Hier war es besonders still, hing der Vorabend noch in der Luft. Das umgedrehte Fass in der Ecke, auf dem der Fernseher thronte, war mit einem roten Tuch umwickelt wie die Hüfte einer Frau. Gegenüber stand Hourias und Doms alte grüne zweisitzige Couch. Dahinter gab es einen kleinen quadratischen Holztisch und einen Lehnstuhl. In der Ecke neben dem Tisch türmten sich seine Bücher, die er auf dem Flohmarkt erstanden hatte.
John legte die Post auf den Tisch, neben den Stapel unbezahlter Rechnungen, und setzte sich auf den Stuhl. Nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte, sah er die Umschläge durch. Ein Brief von seiner Mutter war dabei, auf dem sein Name in vertrauter Handschrift und australische Briefmarken prangten. Er zog zwei eng beschriebene Seiten aus dem Umschlag. Dazu gab es auch eine Postkarte, ein Bild der neuen StraÃenbrücke in Moruya. Nachdenklich betrachtete er das Foto, zog an seiner Zigarette und erinnerte sich an die Gerüstpfeiler der alten Holzbrücke, an das Rumpeln des Fords, wenn er mit seinem Vater auf dem Weg in die Stadt darüberfuhr. Die Holzbrücke war bei einer Jahrhundertflut fortgespült worden, und die Stadt hatte mehr als zwei Jahre ohne Brücke auskommen müssen. Die Handschrift seiner Mutter war so akkurat wie eh und je. Offenbar war mit ihren Augen alles in Ordnung.
Mein liebster Sohn,
Deinem Vater und mir geht es unverändert gut. Letzte Woche hat ihm der Arzt ein bisschen Sauerstoff verabreicht, das warâs auch schon. Du brauchst Dir also keine Sorgen zu machen. Er lässt Dir liebe GrüÃe ausrichten. Habe ich Dir eigentlich schon erzählt, dass Onkel Martin gestorben ist? Das stand vermutlich in meinem letzten Brief. Martin war anderthalb Jahre jünger als ich. Kein Wunder, dass mich das nachdenklich stimmt. Tja, wir sind alle in des Schöpfers Hand. Martin hat immer nach Dir gefragt. Er hat GroÃes von Dir erwartet. Die Beerdigung war sehr schön. Es waren an die zweihundert Gäste da. Ich wusste gar nicht, dass er so viele Freunde hatte. Wir haben ihn natürlich einäschern lassen. Unser Mann in Paris, so hat er Dich genannt.
Wir warten immer noch auf Regen. Aunty Esme hat mir gesagt, dass der Chinamanâs Hole zum allerersten Mal ausgetrocknet ist. Ich weià noch, wie Du und Kathy und Eure Freunde Euch bis spätabends dort getummelt habt. Ihr hattet immer so viel SpaÃ. Ich fand es toll, wenn Ihr Euch im Sommer dort alle getroffen habt. Und da fällt mir ein, was ich Dich fragen wollte, auch wenn ich Dich auf keinen Fall unter Druck setzen möchte: Habt Ihr inzwischen vielleicht einen Besuch hier eingeplant? Ich weiÃ, ich stelle immer die gleiche Frage. Eines schönen Tages werdet Ihr uns einfach überraschen. Manchmal sehe ich Dich im Geiste durch die Tür kommen, und dann macht mein Herz einen solchen Sprung! Kathy denkt tatsächlich ans Heiraten. Kannst Du Dir das vorstellen? Sie haben uns im August besucht, während ihrer Ferienreise. Auf Tour gehen, hat er das genannt. Er ist Engländer. Sie haben mal hier übernachtet und mal dort, in diesen schicken kleinen Pensionen, die an der ganzen Küste wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Ich frage mich, ob es genug Gäste für alle gibt. Du würdest hier inzwischen nichts wiedererkennen. Er ist ganz reizend, aber ich bin mir nicht sicher, ob er unserer Kath standhalten kann, wenn sie einmal richtig loslegt. Wenn Du mich fragst, ist er eine Spur zu nett. Kath bräuchte einen Mann mit stärkerer Persönlichkeit. Dad lässt Dir liebe GrüÃe ausrichten. Ich habe ihm gesagt, dass ich es schon getan habe, aber er meint, dann soll ich es eben wieder tun. Er ist immer noch der Alte. Er würde Dich so furchtbar gern wiedersehen. Und ich auch, mein Schatz, das weiÃt Du. Heute ist ein herrlicher Tag. Jeden Morgen kommt ein Paar Rosellasittiche zum Vogelhäuschen geflogen, das ich in den Aprikosenbaum gehängt habe. Hier haben wir nur diesen einen Baum. Wenn man bedenkt, wie viele Bäume wir früher hatten!
Alles Gute, mein lieber Junge,
Mum
PS : Bitte richte
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