Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Miller
Vom Netzwerk:
versagen. Er zündete ein Streichholz an und fixierte die Flamme, als gelte es, im Dunkeln nach etwas Verborgenem oder Verlorenem zu suchen. Als die Gasflamme brannte, setzte er Milch auf und wärmte sich die Hände über dem Topf. Andrés Katze kam durch die Hintertür und rieb sich an seinen Beinen. Ihr Fell war noch feucht und kalt von der Nacht. Sie miaute, und als er sich bückte, um sie zu streicheln, fing sie an zu schnurren und schmiegte ihren harten kleinen Kopf an seine Hand. Sobald die Milch angewärmt war, goss er etwas davon in eine Untertasse und stellte sie auf dem Boden ab.
    John sah zu, wie die Katze die Milch aufleckte. »Was soll ich nur tun?« Nach einer Pause fuhr er fort: »Als Junge hatte ich auch eine Katze.« Seine Katze war achtzehn Jahre alt geworden. Am liebsten hatte sie Tips Schnauze zwischen ihren Pfoten gehalten und sie abgeleckt. Tip genoss das immer mit geschlossenen Augen. Die Katze – sie hatte keinen Namen gehabt – war ein großes Weibchen mit rotem Fell und schläfrigen grünen Augen gewesen. Sie folgte ihm und Tip überall auf der Farm, aber den Bach überquerte sie nie. Während er mit Tip weiterlief, blieb die Katze am Ufer sitzen, wie eine Hausfrau und Mutter, die auf die Heimkehr ihrer Lieben wartet. Wenn er und der Hund abends zurückkamen, saß sie immer noch da. John hatte sie aus einem Wurf wilder Kätzchen gerettet, den sein Vater im Brombeerdickicht am hinteren Ende des Schweinegeheges gefunden hatte. Die anderen Kätzchen hatte sein Vater in einen Zuckersack gesteckt und schwungvoll auf den Amboss im Schuppen niedersausen lassen. Abends schaute John gern von der Veranda aus zu, wenn seine Katze Kaninchen auflauerte, flach im Kikuyugras ausgestreckt, gleich neben dem Brombeerdickicht, in dem sie geboren worden war. Er beobachtete, wie sie sich mit einem hohen Satz auf ein ausgewachsenes Kaninchen stürzte und ihm mit ihren kräftigen Kiefern das Genick brach. Dann brachte sie ihre Beute heim, verhackstückte sie unter dem Ständer des Wasserbehälters und brachte Tip eine Portion auf die Veranda, sie legte ihr das warme Fleisch vor die Schnauze und schob mit der Pfote nach. Als die Katze starb, wickelte John sie in seinen schönsten Pullover und begrub sie unter dem Orangenbaum neben den Viehkoppeln. Er weinte um sie, während Tip ihm zusah. Die Überreste der Katze lagen sicher noch dort. Tips Tod war weniger beschaulich gewesen, und daran wollte John im Moment lieber nicht denken. Es war einfach zu traurig. John dachte nie gern an traurige oder tragische Dinge.
    Der Kaffee kochte. Seine Mutter hatte die Hündin wegen ihrer weißen Schwanzspitze Tip genannt. John hingegen hatte seinen Tieren keine Namen gegeben. Das alte Pferd seines Vaters, ein großer schwerfälliger Wallach, hieß Beau. Er furzte gern. Er furzte oft. Wenn Johns Vater Beau beim Ritt das Bachufer hinauf anspornte, gab das Pferd eine Reihe gewaltiger Winde von sich. Sie stanken zum Himmel. Der Gestank hätte einem den Kopf von den Schultern reißen können, wäre man Beau zu dicht gefolgt.
    Als John Kaffee und Milch in die Schalen goss, hatte er den Geruch von Beaus Fürzen in der Nase.
    Plötzlich fiel ihm die Geschichte ein, die André ihm kürzlich erzählt hatte. Seine Frau Simone war mittlerweile fünfundsechzig und hatte die Wechseljahre längst hinter sich. »Sie hat versucht, mich umzubringen«, sagte André damals. Er saß pfeiferauchend auf dem Dollbord seines Bootes und spähte ins dunkle Wasser. »Ich wollte gerade die Tür hinter ihr schließen, als Simone sie mit einem Ruck wieder aufstieß, die Tür knallte mir gegen die Brust und ich fiel im Flur zu Boden. Da trampelte sie schreiend mit den Füßen auf mir herum. Später, als sie mit den Einkäufen zurückkehrte, fragte sie mich, ob ich zum Abendessen lieber Huhn oder Kalb essen wollte. Ohne ein Wort über ihre Attacke zu verlieren. Und ich traute mich nicht, sie danach zu fragen, weil ich Angst hatte, dass sie dann wieder loslegen würde. Ich war am ganzen Körper mit blauen Flecken übersät. Erst Monate später erklärte sie mir eines Abends, als wir beide vor dem Fernseher saßen: Es hat mich irgendwie überkommen . Mehr hat sie dazu nie gesagt.« André warf John einen Blick zu und fügte munter hinzu: »Hoffen wir mal, dass dir so was mit Sabiha erspart bleibt.« Lachend

Weitere Kostenlose Bücher