SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Konservativen häufig besser zusammenarbeiten als mit Sozialdemokraten. Das liegt daran, dass die SPD dieses Modernisierungsfanal im Kopf hat. Modernisierung bedeutet da zu oft das Eingehen auf die wirtschaftlichen Imperative.
Diese neue Form des Kapitalismus ist auf die Zerstörung von Bindungen gerichtet. Leute, die keine Bindungen mehr an ihre Arbeit haben, sind leichter zu manipulieren als diejenigen, denen das wichtig ist. Deshalb ist es eines der Kernelemente der katastrophalen neoliberalen Ökonomie, Bindungslosigkeit herzustellen.
Wobei »neoliberal« ein falscher Ausdruck ist. Denn diese Liberalen können sich nicht auf die Tradition des Liberalismus berufen. Adam Smith, David Ricardo, John Stuart Mill, das waren ja Liberale, bei denen die Marktgesetze eingebettet sind in Traditionen, Regelungen, Imperative. Smith war Professor für Ethik. Die Neoliberalen unserer Zeit haben gar keine Tradition. Es gibt keinen klassischen Ökonomen, der je behauptet hätte, der Markt reguliere den Zusammenhalt menschlicher Ordnung. Nicht die politische Ökonomie ist zur Leitwissenschaft geworden, sondern die Betriebswirtschaft.
A: Geht mit diesem neuen Denken nicht auch ein unerhörter Freiheitsgewinn einher, ein Gefühl der Befreiung von den sozialen Zwängen, die die Menschen früher im Griff hatten?
N: Ja. Anders ist die Wirksamkeit dieses Liberalismus nicht zu erklären. Es gibt da ein großes Freiheitsversprechen. Der unternehmerische Mensch wird zum Idealbild erkoren. Wir alle auf Augenhöhe mit Ackermann! Ganz im Sinne von Schumpeter, der ja sagt, Unternehmer ist nicht nur der, der Kapital hat, sondern jeder, der mit seiner Arbeitskraft etwas anfängt.
Die Begriffe, die am Grund unserer Vorstellungen liegen, sind da umgeprägt worden: Das »Ich« ist der Götze, und das »Öffentliche« ist das Schlechte.
Die Totalisierung der Individualisierungsschübe führt dazu, dass das Gemeinwesen immer mehr verblasst. Aber die Leute lernen langsam wieder, dass sie sich selbst beschädigen, wenn sie das Gemeinwesen beschädigen.
A: Sie haben einmal einen offenen Brief an den damaligen Siemens-Chef Heinrich von Pierer geschrieben. Er hatte 30 Millionen Euro Weihnachtsgratifikation an seine Vorstandsmitglieder verteilt und etwas später erklärt, es könnten aus Kostengründen nicht alle Konzernabteilungen in Deutschland gehalten werden. Als normal empfindender Mensch sieht man hier ein moralisches Problem.
N: Pierer hält sich für den besten Konzernchef überhaupt, moralisch vollkommen integer. Er hat nicht das geringste Schuldbewusstsein. Leute wie er leben in einer eigenen Welt. Eine Bonuszahlung von einer Million ist da niedrig.
A: Warum hält sich die Empörung darüber am Ende dann doch in Grenzen?
N: Die Menschen sehen keine Alternative. Da spielt auch die innere Zerfaserung der Arbeiterbewegung eine Rolle. Ich bin betrübt, dass die Gewerkschaften keine interessante Konzeption der Gesellschaft anbieten. Erst wenn solche Alternativen sichtbar werden, werden Krisen- zu Erkenntniszeiten. Alexander Kluge und ich, wir haben ein Lieblingstier: Das ist der Maulwurf. Wegen seiner Arbeitsweise. Er erzeugt zwar keine Berge, aber immerhin Hügel, von denen aus man besser sehen kann.
A: Sie schreiben: » Politische Moral bildet sich im Zustand der Empörung. « Empörung ist also notwendig, um politische Veränderung hervorzurufen. Sarrazins schlimmer Erfolg hat uns aber daran erinnert, dass Empörung etwas Regressives haben kann.
N: Auch das hängt mit dem Gefühl der Alternativlosigkeit zusammen. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, von Menschen erzeugte Umstände für naturgesetzlich zu halten. Sarrazins genetische Zitate gehen in die gleiche Richtung: Gene sind naturgesetzlich, betriebswirtschaftliche Abläufe sind naturgesetzlich, wir können an alldem nichts ändern. In einer kulturellen Erosionskrise, wo sich alte Sicherheiten auflösen, können kulturelle Suchbewegungen entstehen, bei denen steinharter Kulturkonservatismus herauskommt. Ich spreche in diesem Zusammenhang von den politischen Schwarzmarktphantasien, die sich in verschiedene Richtungen entwickeln, nach links und nach rechts.
A: War Thilo Sarrazin so eine Phantasie?
N: Ja.
A: Hätten die Parteien den politischen Raum besser verteidigen müssen?
N: Sie werden ihn verteidigen müssen, wenn sie weiter existieren wollen.
A: War nicht die Gründung der Linkspartei ein Versuch, das zu tun? Sie haben das seinerzeit sehr skeptisch beurteilt.
N: Der
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