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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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fanden, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland, 40 Prozent fanden, die einheimische Bevölkerung solle mehr Rechte haben als die zugewanderte, 28 Prozent wollten Ausländer in ihre »Heimat« zurückschicken, wenn hier die Arbeitsplätze knapp wären, und 16 Prozent fanden, die »Weißen« würden die Welt zu Recht beherrschen. Da wundert es nicht, dass die Aussagen zu Obdachlosen, Armen und auch zu Juden ein trauriges Licht auf die deutsche Seele warfen.
    Heitmeyer schrieb zu Beginn seiner Untersuchungen, dass die Düsternis, die sich in Deutschland breitmachte, drei Aspekte habe, die er erhellen wolle: einen sozialen, einen politischen und einen emotionalen. »Zunächst geht es um die prekäre Teilhabe an materiellen und kulturellen Gütern sowie die unsicheren Chancen auf Anerkennung auf Grund der ausgeübten Tätigkeiten. Die Ergebnisse verweisen auf große Probleme. ... Ein zweiter Blick muss auf die politische Partizipation und die moralische Anerkennung fallen, also inwieweit Sinnlosigkeit erfahren wird und Personen auf Grund von Ohnmachtserfahrungen keine ausreichende Realisierung von Grundnormen erleben. Dies bedeutet einen Verlust an moralischer Anerkennung. Für 57 Prozent ist eine politische Einflussnahme als Bürger nicht möglich und 87 Prozent vertreten die Auffassung, dass Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden. Immer mehr Menschen werden an den Rand gedrängt, so ist die Überzeugung von 78 Prozent.
    Schließlich geht es um den Lebensbereich des eigenen Milieus, die private Lebensführung und die dort mögliche emotionale Anerkennung. So notieren fast 43 Prozent, dass sie gern mehr Personen in der Nähe hätten, die zu ihnen halten, auch wenn sie Fehler machen, und fast 74 Prozent vertreten die Auffassung, dass die sozialen Beziehungen immer labiler werden. ...«
    Der unschätzbare Vorteil der Heitmeyerschen Studie war ihre Dauer. Auf zehn Jahre angelegt, veröffentlichten Heitmeyer und seine Mitarbeiter seit dem Jahr 2002 jedes Jahr einen neuen Band. Und während dieser zehn Jahre wurden sie zu Chronisten eines Verfalls von Sitten und Sittlichkeit. Eines Zerfallsprozesses, der unter der rot-grünen Regierung begonnen hat und der sich über all diese Jahre unvermindert fortsetzte: der Prozess der Entsolidarisierung. In den vergangenen Jahren beschleunigte sich dieser Prozess. Heitmeyer hatte prophezeit: »Unsere Analysen lassen erwarten, dass eine Zunahme menschenfeindlicher Einstellungen und Verhaltensweisen davon abhängt, inwieweit immer mehr Menschen in unsichere Arbeits- und Lebensverhältnisse, politische Ohnmachtsempfindungen und instabile emotionale Situationen, kurz: in prekäre Anerkennungsverhältnisse geraten.« Und so ist es eingetreten. Denn je weniger Anerkennung einer erfährt, desto weniger gibt er.
    Das Besondere an Heitmeyers Studien war nicht die soziale Ungleichheit, die er festgestellt hat. Und auch nicht die Diskriminierung von Armen und Arbeitslosen und Ausländern. Neu war das, was Heitmeyer die »Ideologie der Ungleichwertigkeit« nennt. Heitmeyer fand, dass die Abwertung der Armen durchaus nicht mehr nur einem diffusen Gefühl entspringt, sondern einer Überzeugung. Der Überzeugung, dass nicht alle Menschen gleich sind und auch nicht gleich wertvoll sind. Der Soziologe hat einen neuen Rassismus in der deutschen Gesellschaft festgestellt. Einen »Nützlichkeitsrassismus«. Das ist ein Wort, das die Linken-Politikerin Katja Kipping in Beiträgen über die Diffamierung von Erwerbslosen benutzte, als sie noch nicht Vorsitzende ihrer Partei war. Sie wandte sich vehement gegen jenen Geist, der sich längst in den bürgerlichen Parteien breitgemacht hat. Der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle lästerte im Jahr 2010: »Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.«
    Das war der blanke Zynismus. Es war ein Zeichen der dunklen Ideologie, in deren Dienst auch der Philosoph Sloterdijk seinen Verstand und seine Worte stellte, als er schrieb: »So kann es in der ökonomischen Moderne dahin kommen, dass die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven leben – und dies zudem auf missverständliche Weise, nämlich so, dass sie gesagt bekommen und glauben, man tue ihnen unrecht und man schulde ihnen mehr.« Das hat er geschrieben im Zusammenhang mit Sarrazin und dessen Phantasie, die »Nicht-Leistungsträger« aus der Stadt zu treiben und nur noch Raum für die »Eliten« zu lassen. Es ist nur ein Katzensprung von der

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