SACHMET - KATZENDÄMMERUNG Band 2 - Horror - Thriller
brennenden Schweiß aus meinen Augen geblinzelt hatte, war auch diese Erscheinung verschwunden. Sie blieb ähnlich diffus wie das Rasseln und das leise Lachen.
Der Fahrtwind, der nun durch die geöffneten Seitenfenster wirbelte, hatte trotz seiner trockenen Hitze eine belebende Wirkung auf mich. Ich fragte mich, was meinen überhasteten Aufbruch in Wirklichkeit bewirkt hatte. War alles nur eine Einbildung gewesen? War ich vor Phantomen geflüchtet? Noch bevor ich die verfallene Tankstelle wieder passierte, bejahte ich meine stummen Fragen. In der glühenden Sonne und bei meiner inneren Verfassung konnte es ganz gewiss zu akustischen oder optischen Halluzinationen gekommen sein.
»Cool down, alter Junge!«, sagte ich mir. »Kein Grund zur Aufregung. Du hast die Sache wieder voll im Griff.«
Beinahe entspannt jagte ich durch die tristen Vororte. Ein bitterer Nachgeschmack blieb allerdings.
Mein Magen machte mich schließlich unmissverständlich darauf aufmerksam, wie unzufrieden er mit seinem spartanischen Frühstück war. Unweit vom Jacinto-Drive quetschte ich mich in eine Parklücke. Seit Nataschas ›Wiederkehr‹ bereitete es mir keine Freude mehr, aufwändige Gerichte zu kochen. Essen war zu einer zwar notwendigen, aber leidigen Angelegenheit geworden. Keine knisternden Tête-à-têtes in versteckten Nischen, keine Geliebte mehr, die sich fast regelmäßig noch die Hälfte meiner eigenen Portion mit einverleibte. Junk- und Fast-Food wurden für mich daher zur idealen Alternative. Öltriefende Churros hier, matschige Doppelwhopper dort; nur gelegentlich nahm ich mir die Zeit, eine Pizza oder eine Tortilla-de-queso im Sitzen zu essen. Vielleicht , dachte ich voller Optimismus, war auch das nur eine Übergangsphase . An diesem Tag genehmigte ich mir einen riesigen ›P+P–Sandwich‹ (Provolone + Prosciutto), die Spezialität eines kleinen italienischen Ladens, den ich vor Wochen zufällig entdeckt hatte. Den würzigen Käse genießend, schlenderte ich im Schatten bunt schillernder Markisen die Straße hinauf. Meine Nikon, die ich mir beinahe schon in einem automatischen Reflex umgehängt hatte, pendelte zwar gelegentlich gegen meinen Hüftknochen, doch ließ ich mich davon nicht irritieren. Ich wollte lediglich im Schatten bleiben, mein Sandwich verzehren und die Schaufenster der Geschäfte betrachten, nichts sonst. Fotografieren – in welcher Form auch immer – bedeutete Arbeit für mich, es war mein Beruf. Und damit konnte und wollte ich mich momentan nicht beschäftigen. Zudem war es fraglich, ob sich hier Motive für ›Blue Sky‹ entdecken ließen.
Wie ein Tourist von der Ostküste begaffte ich Auslagen. Das meiste war billigste Massenware. Ramsch: Klobiger, den 70ern nachempfundener Modeschmuck, staubige 2nd-Hand-Taschenbücher mit so ergreifenden Titeln wie ›Die Stunde des Freeway-Schlitzers‹ oder ›Ausgepeitscht‹, taiwanesische Tees und Seidentücher, vergoldete Plastiknachbildungen mexikanischer Gottheiten.
In einem kaum drei Meter schmalen Laden war gerade eine Verkäuferin damit beschäftigt, ein Schwarz-Weiß-Poster hinter den Waren zu befestigen. Das Bild zeigte den schlanken, muskulösen Oberkörper eines Automechanikers, der in jeder Hand einen wuchtigen Reifen hielt. Die Jungs von Levi’s hatten den Dreh wirklich raus. 50er oder 60er Jahre-Nostalgie, dazu knackige Typen, durchtrainiert, aber meilenweit von einem Schwarzenegger-Verschnitt entfernt, gelegentlich auch einmal kombiniert mit unverbrauchten Mädchengesichtern. Prickelnde, etwas unterkühlte Erotik, und schon klingelten die Kassen. Und dann die Musik. Allein schon ein derartiges Foto reichte aus, um Roy Orbisons ›Only The Lonely‹, Percy Sledges ›When A Man Loves A Woman‹ oder Ben E. Kings ›Stand By Me‹ im Hintergrund laufen zu hören.
Die junge Frau, die mir immer noch den Rücken zudrehte, lenkte meine Werbe-Philosophien aber plötzlich in völlig andere Bahnen. Als sie vor dem Plakat kniete, um die widerspenstige, untere Hälfte an der Stellwand festzumachen, sah es so aus, als sei sie selbst eine Levis-Figur, die nun wieder in ihre Welt zurückkehren wollte. Sie trug eine hautenge, mit fransigen Schnitten versehene Bluejeans und ein ärmelloses, weißes Baumwoll-T-Shirt. Um die Textilien im Fenster zu schonen, war sie barfuß hineingeklettert. Der Anblick ihrer schmalen, leicht gebräunten Arme und der zierlichen Füße ließ mich vor dem Geschäft Wurzeln schlagen. An ihrem ›schwarz-weißen‹
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