SACHMET - KATZENDÄMMERUNG Band 2 - Horror - Thriller
Wahrheit und Lüge hin und her. Für einige Minuten senkte sich tiefes Schweigen über den Raum. Phil schien abzuwägen, in welcher Form er mir antworten sollte.
»Ich glaube, dein Verhalten ist keineswegs außergewöhnlich, Tom«, sagte er schließlich. »Deine Nerven sind noch immer arg strapaziert. Was sind schon ein paar Monate? Diese … eine solche Sache kann man nicht so leicht vergessen. Wahrscheinlich niemals. Man kann nur darauf hoffen, dass der Schmerz und die Trauer im Laufe der Zeit irgendwie fassbarer, ertragbarer werden.« Mir fiel auf, dass auch er Nataschas Namen nicht erwähnte; selbst vor dem Wort ›Tod‹ scheute er sich.
»Vielleicht wäre es für dich das beste, wenn du dich um eine neue Wohnung bemühtest«, schlug er abschließend vor.
»Eine neue Wohnung?« Ich schüttelte nur müde den Kopf. »Was glaubst du, wie oft ich schon daran gedacht habe. Aber es ist aussichtslos. Wo sollte ich denn Nataschas umfangreiche Bücher- und Kunstsammlung unterbringen? Eine vergleichbare Wohnung in ›Joshua Heights‹ oder ›La Oja‹ wäre selbst für mich auf die Dauer nicht finanzierbar.«
»Und wenn du den größten Teil verkaufen würdest?«, warf Phil ein. »Oder einem Museum anbietest, als Schenkung?«
»Niemals!«, schrie ich fast auf. Selbst jetzt, nach allem, was mit Natascha geschehen war, trotz meiner Wut, meiner Angst ihrem anderen Wesen gegenüber, liebte ich dieses Geschöpf. Beide Geschöpfe. Mit allen Konsequenzen. Ein Auszug oder ein Verkauf ihrer Sammlung wäre einem mörderischen Verrat gleichgekommen. Ich war selbst erstaunt darüber, mit welcher Heftigkeit ich reagierte. War meine verdammte, meine in der Hölle geschlossene Liebe zu Natascha denn durch nichts zu erschüttern? Mir graute bei dieser Vorstellung.
»Ich kann mich von den Sachen einfach nicht trennen, Phil«, versuchte ich möglichst ruhig zu erklären. »Es mag verrückt klingen, völlig unlogisch, aber sie sind das einzige, was mir von ihr geblieben ist. Für mich lebt Natascha in ihren vielen Katzen-Figuren weiter.«
Mein Freund blickte mich besorgt an. Er konnte nicht ahnen, wie nahe ich damit der Wahrheit gekommen war. »Aber du hast völlig recht«, beruhigte ich ihn, »ich muss wohl etwas mehr Geduld mit mir selbst haben. Momentan brauche ich nur etwas Abstand.«
Phil sagte sofort zu, als ich ihn fragte, ob ich im Atelier übernachten könne; außer seinem eigenen Bett stünde mir jedes Sofa oder jede Matratze zur freien Verfügung. Ich baute mir aus zahlreichen Kissen ein Nest und schlief trotz düsterer Ahnungen schnell ein. Entgegen jeder Erwartung blieb ich diesmal von Träumen verschont. Allerdings, eine Art von Traum hatte ich doch: Ein Traum in Schwarz, ohne Bilder.
Ich träumte, ich wäre mitten in der Nacht durch ein Geräusch geweckt worden. Neugierig schlug ich die Augen auf, konnte allerdings nichts erkennen. Im Raum war es so finster, wie in einer Dunkelkammer, trotz der vorhanglosen Fenster. Nicht der winzigste Lichtstrahl durchdrang das Schwarz. Seltsamerweise beunruhigte mich diese unnatürliche Szenerie nicht. Beinahe genoss ich sogar die Hilflosigkeit meiner Sinne. Es gab keine Orientierung mehr, kein Oben und Unten, kein Rechts und Links, kein Vorne oder Hinten. Mein Zustand war ähnlich dem des Schwebens; selbst der weiche Druck der Kissen auf meinen Körper war verschwunden.
Meine Ohren mussten die nutzlos gewordenen Augen ersetzen. Anfangs empfingen sie allerdings ebenfalls keinerlei Eindrücke. Totale Stille umgab mich, umschlang, würgte mich. Was aber hatte mich dann nur geweckt?
Langsam flößte mir dieses ›Nichts‹ doch Angst ein. Wo war ich? Befand ich mich immer noch in Phils Wohnung oder war ich längst an einen ganz anderen Ort übergewechselt? War ich vielleicht gestorben? Ein plötzlicher Hirnschlag, der alles auslöscht, ein hinterhältiges Blutgerinnsel, ein unbemerkter Tumor, und schon sagte man der Welt ade. War es das, was Tote empfanden, völlige Leere und ewige Stille? Ein Vakuum? Ich grübelte darüber nach, ob dieses Nirwana eine himmlische Erlösung oder eine perfide Folter der Hölle darstellte.
Plötzlich drangen Schallwellen in meine gierigen Gehörgänge. Ein leises Rascheln von Stoff. Das ›Nichts‹ zerbrach. Irgendwo in der Schwärze befand sich ein weiteres lebendes Wesen. Ein Wesen, das mich offensichtlich wahrnehmen konnte. Ich spürte förmlich, wie es mich beobachtete.
Viele Herzschläge lang (Herzschläge? Lebte ich also doch noch?)
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