SACHMET - KATZENDÄMMERUNG Band 2 - Horror - Thriller
ließ mich über Nacht plötzlich wieder Anschluss finden und über Phil und seine Kollegen weit hinausschießen. Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran dachte, wie mühelos mir der Durchbruch gelungen war. Das Leben ging zuweilen schon recht merkwürdige Wege.
Ohne zu überlegen drückte ich auf die Klingel. Als auch nach dem dritten Versuch niemand öffnete, zog ich schulterzuckend weiter. Scheinbar war Phil gerade an einem Set irgendwo in der Stadt, vielleicht sogar in L.A. oder noch weiter entfernt. Sein Studio schien gut zu laufen. Nach allem, was er mir erzählt hatte, war er längst über das Stadium hinaus, sich noch Gedanken über die Bezahlung der Miete machen zu müssen.
Den ganzen Nachmittag verbrachte ich damit, in Erinnerungen schwelgend die Lieblingsorte meines alten Viertels aufzusuchen. Ohne etwas zu kaufen durchstöberte ich die Second-Hand-Plattenläden, schlenderte die ›Eleonor‹ auf und ab, immer wieder aufs Neue von den kräftigen Farben der lang gestreckten Murals fasziniert und beobachtete anschließend bei einem Eiskaffee im ›Pulcinella‹ das stetige Anwachsen des Berufsverkehrs.
Ich genoss den Kontrast zwischen der Ruhe des Cafés und der fieberhaften Hektik der Autofahrer. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich in meinem Korbstuhl zurück und lauschte entspannt dem Rauschen der Motoren. Ich fühlte mich wie ein moderner Tourist, der sich an der ›Brandung‹ eines mechanischen Meeres ergötzte. Alles strömte wild an mir vorbei, die Autos, die Menschen, das Leben. Und ich war ein unberührter, ruhender Pol. Ein unbeteiligter Beobachter. Ersehntes Glück oder Albtraum?
Gegen halb sechs spazierte ich zurück zum Atelier und versuchte es erneut. Ich wollte gerade wieder gehen, als der Türöffner summte. Seltsam erleichtert drückte ich auf. Ich brauchte einfach jemanden, der mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte. Phil lehnte lässig im Rahmen und grinste mir entgegen. »Ich glaub', mich knutscht ein Muli, Tom! Ich kann's nicht fassen. Komm' rein, alter Junge. Welch strahlender Glanz in meiner bescheidenen Hütte.« Er wischte sich die Hände bewusst umständlich an seiner Jeans ab – ungefähr so, als seien sie mit zentimeterdicker Wagenschmiere bedeckt – und umarmte mich so fest, dass ich jede Rippe einzeln spürte. Mit einem hohen, asthmatischen Röcheln erwiderte ich seine freundschaftliche Geste.
Die Räume hatten sich seit meiner Zeit kaum verändert, nur die Wände waren farbenfroher geworden, meist Blau- und Grüntöne. Am Boden oder auf kleinen Glastischen lagen überall Zeitungen und Fotomagazine wild verstreut. Phil stakste ungerührt über sie hinweg und führte mich zielstrebig ins Wohn- und Konferenzzimmer.
Schwarze Lederfauteuils – alles Einzelstücke – bildeten einen unförmigen Kreis. Mein Freund wies auf einen Sessel und sagte: »Setz' dich, Tom. Wonach steht dir der Sinn? Scotch? Bourbon? Martini? Der Schampus, der für eine solche Gelegenheit eigentlich angebracht wäre, ist mir leider heute Morgen ausgegangen.«
»Nun mach' aber mal halblang«, wehrte ich schmunzelnd ab. »Eine Soda mit viel Eis reicht völlig aus.«
Phil salutierte wie ein Soldat bei der Wachablösung. »Aye, aye, Sir, wie Sie meinen. Unser Haus erfüllt Ihnen selbst die ausgefallensten Wünsche. Vielleicht noch eine Zitronenscheibe mit einem Schuss Ahornsirup dazu?«
Ich schüttelte seufzend den Kopf. Während Phil geräuschvoll am Eisschrank hantierte, betrachtete ich interessiert die übrige Einrichtung. Hellblaue und stahlgraue Teppiche, dunkelgrüne Wände. Nirgendwo Gardinen an den Fenstern. Mir gegenüber hing ein großer Druck von Jackson Pollock. Schwarze und rote Farbspuren, die auf den ersten Blick wie die vollgekleckste Abdeckplane eines Anstreichers aussahen. Erst bei genauerer Betrachtung erkannte man formale und farbliche Bezüge. Das Bild besaß tatsächlich so etwas wie eine geheime Ordnung. Hinter dem scheinbaren Chaos offenbarte sich ein gestalterischer Wille, ein sehr gesteuerter ›Zufall‹.
In einem Fernsehbericht über Pollock hatte ich einmal gesehen, wie scheinbar wahllos der Künstler die Farben aus Tuben oder Töpfen direkt auf eine riesige, am Boden liegende Leinwand hatte tropfen lassen. Doch dem war nicht so. Pollock besaß eine traumwandlerische Sicherheit und ein an Perfektion grenzendes künstlerisches Gespür. Kein Farbtropfen fiel wirklich ›zufällig‹ auf seine Bilder. Kein einziger.
Ich
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