Sacramentum
diese Wärme nicht in ihrem Kopf war, sondern auf ihrer Haut und im Zimmer. Die Sonne war herausgekommen.
Kathryn sprang aus dem Bett und zum Fenster. Die Sonne erfüllte die Straße mit hellem Licht. Aber es war schon spät, und bald würde die Sonne wieder hinter den Bergen versinken. Kathryn musste sich beeilen.
Sie nahm ihre Lesebrille vom Kopf und hielt sie über das Papier, bis ein kleiner Lichtpunkt darauf erschien.
Kathryn hielt die Brille so ruhig sie konnte. Rasch verdunkelte sich der Punkt, und es begann zu schwelen. Das Papier verwandelte sich um den Punkt herum in Asche, aber es fing kein Feuer. Kathryn bewegte die Brille, sodass der Punkt sich immer am Rand der Asche befand. Schließlich war ein rotes Glühen zu sehen, doch noch immer keine Flamme. Kathryn legte die Hand darum und blies vorsichtig. Sie konzentrierte sich voll und ganz auf das winzige rote Glühen, bis sie keine Luft mehr hatte. Doch kurz bevor sie aufgeben musste, züngelte eine kleine Flamme empor.
Kathryn schnappte sich das Tagebuch vom Bett und schlug es in der Mitte auf. Sie hatte keine Ahnung, wie lang die verborgene Nachricht war, und das Papier verbrannte schnell. Vorsichtig hielt sie die erste leere Seite über die Flamme.
Der Trick zeigte sofort Wirkung. Die Hitze verdunkelte das Papier genau an den Stellen, wo die Zitronensäure getrocknet war, und mehr und mehr Symbole füllten die Seite. Der Text, arrangiert in Form eines Tau, war ein Spiegelbild der ersten Prophezeiung und in genau der gleichen, uralten Schrift geschrieben. Kathryns Blick wanderte über die Symbole der Mala, die Schrift ihres Stammes, und sie übersetzte im Kopf:
Der Schlüssel öffnet das Sakrament
Das Sakrament wird der Schlüssel
Und die Erde wird erzittern
Der Schlüssel muss der Sternenkarte heimfolgen
Um dort innerhalb einer vollen Mondphase
das Drachenfeuer zu löschen
Denn sonst wird der Schlüssel vergehen;
die Erde wird zerbrechen, und eine große Plage wird
das Ende aller Zeiten ankündigen
Kathryn las den Text noch einmal und versuchte, seine Bedeutung zu verstehen. Es schien eine Art Warnung zu sein, aber unvollständig.
Da musste doch noch mehr sein.
Kathryn legte ein weiteres Stück Papier auf die sterbende Flamme. Unglücklicherweise loderte das Feuer stärker auf, als erwartet, und Rauch füllte den Raum. Kathryn blätterte eine Seite weiter und hielt sie über die Flamme.
Wieder erschien ein Text, viel Text, doch das Feuer brannte so schnell, dass Kathryn noch nicht einmal versuchte, ihn zu lesen. Sie wusste, dass sie so gut wie kein Brennmaterial mehr hatte, und der Rauch wurde allmählich gefährlich dicht; also hielt sie einfach eine leere Seite nach der anderen über die Flammen und schürte das Feuer, bis sie nichts mehr hatte, und es erlosch.
Draußen hörte sie Schritte näher kommen. In ein paar Augenblicken würde jemand das Zimmer betreten, vermutlich mit dem Priester dicht auf den Fersen. Kathryn öffnete das Fenster so weit es ging, entsorgte die Beweise für das Feuer und reinigte ihre Hände mit demselben Desinfektionsmittel, das sie auch als Brandbeschleuniger missbraucht hatte. Das Fenster ließ sie auf, damit der Rauch abzog. Der Raum war so gut wie leer. Verstecke gab es nicht. Kathryn sprang zum Bett und verbarg das Tagebuch am einzigen Ort, der ihr einfiel und an dem vermutlich jeder als Erstes nachsehen würde. Sie steckte es unter die Matratze.
19
Vater Ulvi Simsek saß im Krankenhausflur und ließ seine Finger über den Rosenkranz gleiten, den er immer bei sich trug. Er dachte noch immer über den Besuch des Polizeiinspektors nach. Der Mann war abschätzig und überheblich gewesen und hatte Vater Ulvis Anwesenheit in Frage gestellt.
Wenn er nur wüsste.
Vater Ulvi ließ die Gebetsperlen durch seine Finger gleiten, glatte Steine, gewärmt durch seine Hand. Es waren neunzehn, jede aus einer bestimmten Art von Bernstein geschnitten, die er sich extra aufgrund ihrer dunkelroten Farbe ausgesucht hatte. Neunzehn Perlen – neunzehn Leben, und jede erinnerte ihn an ein Gesicht. Vater Ulvi zählte sie im Kopf, und seine Lippen bewegten sich leicht, als er sich an ihre Namen und die Art ihres Todes erinnerte.
Vater Ulvi trug zwar Priesterkleidung, doch seine Aufgabe in der Kirche war … spezialisierter. Er betrachtete sich selbst als Soldat Gottes. Sein Land hatte ihn ausgebildet, doch nun diente er einer höheren Macht. Die Perlen erinnerten ihn an seine Vergangenheit, und während seine Glaubensbrüder
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