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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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gewusst. Gott hatte alles so gefügt, dass Dick zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war. Die perfekte Lösung hatte sich wie von selbst präsentiert.
    Un-er-war-tet.
    Wäre im Gefängnis alles nach Plan verlaufen, dann wäre Dick nicht am Flughafen gewesen, und das Mädchen wäre entkommen. Und sie war das Wichtigste der drei Ziele. Das Mädchen stellte die größte Gefahr für die Kirche dar, und sie musste unbedingt zum Schweigen gebracht werden. Und ihn zum Schweigen zu bringen, ihm die Worte wegzunehmen, war die größte Macht, die jemand über einen anderen Menschen ausüben konnte. Das hatte Dick im Gefängnis gelernt. Wann immer sie ihn hatten bestrafen wollen, hatten sie ihm die Bücher weggenommen. Doch die Worte in seinem Kopf konnte ihm niemand nehmen. Nicht ohne ihn zu töten. Und er hatte solch schöne Worte in sich, die besten. Jesaja hatte sie ihm gegeben. Das war der Name eines Propheten und auch der eines alten Mitinsassen, der immer den Bibliothekswagen durch die Flure des E-Flügels geschoben hatte.
    »Du magst Worte«, hatte er einmal gesagt, als er an Dicks Zelle vorbeigekommen war. »Nun, dann schau dir das mal an. Mehr Worte brauchst du nicht.«
    Bis dahin hatte Dick noch nie in der Bibel gelesen. Er hatte noch nicht einmal daran gedacht. Doch dann hatte er sie gelesen. Hunderte Male, bis die Worte wie Blut durch seine Adern flossen. Er hatte sich sogar einige der mächtigsten in seine Haut geritzt, sodass er nun selbst ein Buch geworden war, gesegnet mit Zaubern, um ihn vor dem Bösen zu schützen, wenn er schlief und seine Zunge still war.
    Deu-te-ro-no-mium.
    Of-fen-ba-rung.
    Ne-pha-lim.
    Das war er – ein Nephalim –, einer der Riesen, die in der Genesis erwähnt werden. Ein Geschöpf Gottes. Ein Beobachter.
    Und auch jetzt beobachtete Dick das Mädchen im Zwielicht der Kabine. Sobald sie zu Hause war, würde sie sich in Sicherheit wähnen … Und genau dann würde er zuschlagen.
    Dann würde er ihr die Worte wegnehmen und sie für immer zum Schweigen bringen.

35
    Gabriel sprintete die Straße zum Krankenhaus hinunter. In dem Augenblick, als Arkadian ihm erzählt hatte, dass schon ein anderer nach Liv gefragt hatte, da hatte er gewusst, was los war. Die dunklen Mächte der Kirche machten einen koordinierten Zug, um alle losen Enden zu beseitigen: erst ihn, dann Liv … und als Nächstes seine Mutter.
    Gabriel konzentrierte sich auf den Takt seiner Füße auf dem Asphalt, die ihn seinem Ziel mit jedem Schritt näher brachten. Er erreichte eine Ecke und bog in die Asklepios-Straße ein. So durch die Straßen zu rennen, wo doch sein Bild in den Nachrichten zu sehen gewesen war, war zwar nicht das Klügste, was er hätte tun können, aber für Vorsicht war jetzt keine Zeit. Ein Drittel die Straße hinunter erreichte Gabriel eine Kurve. Er hielt sich dicht an den Häusern und bog um die Ecke. Vor ihm endete die Straße in einer Kreuzung, hinter der sich der Neubau des Krankenhauses erhob. Gabriel ließ seinen Blick über die oberen Fenster schweifen. Er wurde immer langsamer, denn auf einer Straße, wo jederzeit ein Polizeiwagen erscheinen konnte, wollte er keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. Ein paar Meter vor dem Krankenhaus blieb er schließlich stehen und duckte sich in die Schatten.
    Das Hauptgebäude des Krankenhauses erstreckte sich die ganze Straße entlang. An einem Ende grenzte der Neubau direkt an das ursprüngliche Gebäude, und am anderen Ende war es über einen überdachten Hochgang mit einem kleineren Gebäude verbunden, das entfernt einer mittelalterlichen Burg ähnelte. Das war die alte Psychiatrie, von der Gabriel wusste, dass dort seine Mutter lag.
    Ein Wagen fuhr an ihm vorbei, und Gabriel nutzte das Zischen der Reifen auf dem nassen Asphalt, um sein eigenes Platschen zu übertönen, als er auf die andere Straßenseite lief. Die Fenster im Erdgeschoss der alten Psychiatrie waren ebenso vernagelt wie der ehemalige Haupteingang. Hoch oben, an der Seite des Gebäudes, ragte ein Baugerüst empor. Unglücklicherweise hingen jedoch keine Seile von dort herab, die Gabriel hätten helfen können. Die oberen Fenster, vor denen das Gerüst hing, waren größtenteils dunkel. Lediglich in zweien brannte Licht, in einem in der Mitte und in einem am anderen Ende von Gabriel aus gesehen. Beide befanden sich im vierten Stock. Die Krankenhausangestellte hatte am Telefon gesagt, seine Mutter liege in Zimmer 410. Gabriel hätte darauf wetten können, dass es sich dabei um das

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