Sacramentum
zumindest in diesem Zimmer hatte der Polizist das Sagen. Die Frau war verhaftet, und deshalb trug der Beamte die Verantwortung für sie. Also schluckte Vater Ulvi seine gewalttätigen Gefühle hinunter und verließ wortlos den Raum.
Draußen war es noch immer dunkel, und Vater Ulvi musste sich an der Wand entlang zum Zimmer des Mönchs vortasten. Er erreichte es und blickte über die Schulter zurück. Der Beamte stand vor der Tür und beobachtete ihn. Deutlich sah er den Umriss des Mannes vor dem fernen Licht aus dem Hauptgebäude. Warum hatte der Kerl ausgerechnet heute Nacht beschlossen, zu einem ordentlichen Polizisten zu mutieren?
Egal.
Um den Mönch musste Vater Ulvi sich auch noch kümmern. Er würde ihn rasch töten und dann zurückkehren, um zu beenden, was er begonnen hatte. Und wenn der Polizist dann immer noch da war, würde auch er sterben müssen. Schließlich hatte Vater Ulvi, nun da das Mädchen weg war, noch eine Perle für seinen Rosenkranz übrig.
38
Die Angst, die Kathryn erfüllt hatte, als der Priester allein mit ihr im Raum gewesen war, ebbte allmählich ab.
»Alles okay mit Ihnen?«, erkundigte sich der Polizist, kam wieder herein und schloss die Tür hinter sich.
Kathryn nickte und zwang sich zu einem Lächeln, das in der Dunkelheit jedoch nicht zu sehen war.
Da nun selbst das schwache Licht aus dem Flur fehlte, war es im Zimmer nahezu vollkommen schwarz. Doch seit die Explosion ihr weitgehend das Gehör genommen hatte, hatten ihre anderen Sinne sich verbessert. So konnte Kathryn den Beamten riechen, als er sich durch den Raum bewegte: den Kaffee, das Waschmittel und irgendeine Art Desinfektionsmittel, das vermutlich in seine Uniform gedrungen war, weil er zu lange in einem Krankenhausflur gesessen hatte.
Schließlich tauchte der Mann am Fenster wieder auf, eine Silhouette vor dem Nachthimmel. Inzwischen war der Mond als schmale Sichel über den Dächern aufgegangen, und Kathryn fühlte sich an das Geheimnis erinnert, das sie bewahrte. Sie fühlte seine Last … wie auch ihr Vater sie all die Jahre lang gefühlt haben musste. Dann löste der Polizist sich wieder vom Fenster, trat ans Bett und brachte den Geruch des Desinfektionsmittels mit.
»Ich bin mir nicht sicher, was diesen Priester betrifft«, sagte der Beamte. »Deshalb bin ich auch wieder zurückgekommen … nur um sicherzugehen.«
Plötzlich schoss eine Hand aus der Dunkelheit, legte sich auf Kathryns Mund und Nase, raubte ihr die Luft und machte sie stumm. Der Mann trug OP-Handschuhe. Deshalb stank er auch nach Desinfektionsmitteln.
Kathryn versuchte, sich aus dem Griff zu winden, doch der Mann war bereits auf ihr und drückte sie mit den Knien in die Matratze. Sie warf den Kopf hin und her in der Hoffnung, die Hand im Gesicht loszuwerden, damit sie schreien konnte, aber auch das gelang ihr nicht.
Der Mann beugte sich vor, bis sein Gesicht dicht an ihrem war.
»Schschsch«, sagte er. »Ruhig.«
Er riss ihren Kopf zur Seite, um ihren Nacken zu entblößen, und Kathryn spürte etwas Kaltes, Spitzes auf ihrer Haut. Vor lauter Panik krümmte sie den Rücken mit aller Kraft, die ihr noch geblieben war, sodass der Mann nach vorne kippte und seine Hand von ihrem Mund rutschte. Sie kreischte eine halbe Sekunde lang; dann drückte die Hand wieder auf ihren Mund, diesmal fester, und der Polizist veränderte seine Position und drückte nun mit seinem vollen Gewicht auf ihre Arme.
Kathryns Kopf wurde wieder herumgerissen. Erneut war da dieses spitze Ding, und irgendetwas drang in ihr Fleisch. Plötzlich sah sie einen Vampir vor ihrem geistigen Auge, der sich ihr in der Dunkelheit nährte, und ihr war klar, dass sie nun sterben würde.
Kathryn dachte an das Geheimnis in ihrem Kopf, und sie fragte sich, was wohl daraus werden würde. Dem Polizisten – wenn er denn ein Polizist war – war mit Sicherheit klar, dass er den Raum gerade in einen Tatort verwandelte, und das wiederum hieß, dass man ihn gründlich nach Beweisen durchsuchen würde. Wenn er das Buch unter der Matratze fand, dann bezweifelte Kathryn, dass je jemand von seinem Inhalt erfahren würde. Alles, was sie getan hatte, all die tausend Jahre des Wartens auf die Erfüllung einer Prophezeiung, all das wäre umsonst gewesen.
Kathryn liefen die Tränen über die Wangen. Das war so ungerecht. Sie verfluchte sich selbst für ihre Schwäche; sie verfluchte sich dafür, dass sie nicht kämpfen konnte, doch das Schicksal war von Anfang an gegen sie gewesen. Sie bedauerte
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