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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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Gabriel kontaktieren. Im Polizeipräsidium war offenbar etwas faul – so faul, dass man problemlos Attentäter in Gefängniszellen und bewachte Krankenhauszimmer schleusen konnte. Allein der Gedanke machte Arkadian schon krank. Er wollte Gabriel warnen, dass er nun wegen Mordes gesucht wurde, doch er wusste nicht, wie er ihn erreichen sollte. Er hoffte, Gabriel würde ihn anrufen, sobald die Handys wieder funktionierten. Bis dahin würde Arkadian tun, weshalb er gekommen war: Er würde sicherstellen, dass der Tatort korrekt untersucht wurde und dass nichts verloren ging. Er steckte sein Handy wieder weg und ging zu der Treppe, die ihn in den vierten Stock und zu der Frau bringen würde, die zu beschützen er versagt hatte.

43
    Gabriel stolperte durch die schwer beschädigte Stadt; Tränen rannen durch den Staub auf seinem Gesicht, und er drückte sich das Buch an die Brust, das seine Mutter ihm gegeben hatte.
    Gabriel fühlte bereits den Schmerz des Verlusts. Er nagte an jenem Teil von ihm, der bereits durch den Tod seines Vaters betroffen war. Als John Mann ermordet worden war, hatte die Wut Gabriel förmlich verzehrt. Sie hatte in ihm getobt und sich erst gegen die Mörder, dann gegen ihn selbst gerichtet. Er fühlte sich schuldig, weil er nicht dort gewesen war, denn er glaubte, er hätte etwas bewirken können, wenn er dort gewesen wäre. Das hatte tiefe Wunden in seiner Seele hinterlassen und in der Folge nachhaltige Wirkung auf sein Leben gezeigt. Sein Studium war ihm plötzlich sinnlos erschienen. Also hatte er es abgebrochen und war zur Army gegangen in der Hoffnung, dort seine Wut in geordnete Bahnen lenken und neue Fähigkeiten lernen zu können. Er wollte die Werkzeuge haben, um den Kampf zu jenen zu tragen, die seinen Vater auf dem Gewissen hatten, und um seine Familie fortan vor jedweder Gefahr schützen zu können.
    Und die Gefahr war gekommen.
    Und diesmal war er vor Ort gewesen.
    Und trotzdem war er machtlos gewesen.
    Seine ganze Kampfausbildung hatte sich als vollkommen nutzlos erwiesen, als es darum gegangen war, jene zu beschützen, die er liebte. Denn der Feind war riesig und nicht zu fassen. Er stand nicht mit einer Waffe vor ihm, er war überall: im Glauben von Millionen und tief im Herzen jener Stadt, durch die Gabriel nun stolperte … Nein, der Feind war die Stadt.
    Vor lauter Trauer blind ging Gabriel immer weiter, ohne zu wissen wohin. Er wollte einfach nur einen Fuß vor den anderen setzen und möglichst weit weg vom Krankenhaus, wobei er sorgfältig darauf achtete, Uniformierten und Rettungskräften möglichst aus dem Weg zu gehen.
    Zu guter Letzt führte ihn sein Überlebensinstinkt zur Melek Avenue, einer breiten, von Bäumen gesäumten Straße am Rand des Gartenbezirks. Es war eine Adresse, die man nicht mit ihm in Verbindung bringen konnte, und deshalb würde man ihn hier auch nicht suchen. Es war das Heim des einzigen Menschen, der mehr über die Zitadelle und ihre Geheimnisse wusste als sonst jemand außerhalb des Berges. Wenn das Buch, das seine Mutter ihm gegeben hatte, gegen die Zitadelle verwendet werden konnte, dann würde sie wissen, wie man es verwenden musste.
    Gabriel zählte die Häuser, bis er das erreichte, das er suchte. Er stieg die paar Stufen zur Tür hinauf, schaute sich kurz um, um sich zu vergewissern, dass er allein auf der Straße war, und klopfte laut.
    Eine Sirene heulte am anderen Ende der Straße, eine der vielen Einbruchsicherungen, die das Beben ausgelöst hatte, doch niemand machte sich die Mühe nachzusehen. Gabriel hörte Schritte im Haus und wie im Flur eine Schublade geöffnet wurde. Die Schritte kamen näher; ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht, und dann wurde die Tür schnell aufgerissen, und Gabriel starrte in das grelle Licht einer Taschenlampe und den Lauf einer Pistole. Er drehte sich von dem brutalen Licht weg und hob die Hände, doch plötzlich rief eine durchdringende Stimme hinter dem Licht: »Gabriel!«
    Die Pistole verschwand, und die Taschenlampe wurde gesenkt, sodass die Besitzerin der Stimme zu sehen war. Selbst in alldem Chaos nach dem Beben war Dr. Miriam Anata tadellos gekleidet. Wie fast immer trug sie einen Nadelstreifenanzug und ein schlichtes weißes T-Shirt. Ihr glattes, silberfarbenes Haar, das zu einem asymmetrischen Bob geschnitten war, verlieh ihr eine strenge Erscheinung, doch ihre Augen waren voller Sorge. Bei ihrem Anblick wurde Gabriel von Trauer übermannt.
    »Was ist los?«, fragte Miriam, nahm ihn in den Arm und

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