Sacramentum
Zeltklappen öffnete sich, als Arkadian näher kam, und ein Kriminaltechniker in weißem Papieranzug trat heraus. Es war Bulut Gül, ein erfahrener Forensiker und auch einer der wenigen, dem Arkadian vertraute.
»Ich dachte, du wärst nicht im Dienst«, bemerkte Bulut und deutete mit dem Kopf auf die Armschlinge.
»Dachte ich auch. Wer ist da drin?« Er nickte in Richtung des Zelts.
»Laut Dienstplan heißt er Nesim Sentürk.« Bulut öffnete die Zeltklappe weit genug, sodass Arkadian einen Blick hineinwerfen konnte. »Er ist als Verstärkung von außerhalb gekommen. Sein Dienstausweis fehlt; deshalb wissen wir auch nicht, aus welchem Distrikt er kommt. Dazu kommt, dass die Datenbankserver im Präsidium nach dem Beben komplett ausgefallen sind. Sie arbeiten zwar schon dran, aber das steht nicht gerade oben auf der Liste. Alles, was laufen kann, ist draußen auf der Straße.«
Arkadian legte den Kopf auf die Seite, um sich das Gesicht des Mannes anzusehen. Das war der Wachmann, bei dem er sich eingetragen hatte, als er Liv und Kathryn besucht hatte. Nach der Explosion in der Zitadelle hatte die Polizei der Stadt ihre Präsenz auf den Straßen drastisch erhöht, und dafür hatte man Verstärkung aus den Nachbarstädten gebraucht; deshalb waren im Präsidium auch so viele unbekannte Gesichter zu sehen. Der tote Wachmann war eines davon.
»Wo ist seine Waffe?«
»Die haben wir noch nicht gefunden.«
»Todesursache?«
»Wir sind nicht sicher. Ich glaube aber nicht, dass er abgestürzt ist. Petersen überprüft das aber oben gerade. Ich vermute, man hat ihn hier gefesselt und ihm etwas injiziert. Siehst du den Punkt an seinem Hals? Wir werden das untersuchen, sobald wir die Leichen in die Pathologie gebracht haben, aber das kann noch dauern. In der Stadt herrscht das reinste Chaos. Die Rettungsdienste haben bis Oberkante Unterlippe zu tun. Dazu kommen gerissene Gasleitungen und so ein Zeug. Aber wenigstens können wir sie hier im Krankenhaus kühl lagern.«
»Wo sind die anderen Leichen?«
»Zwei im vierten Stock, beides Überlebende der Zitadelle … obwohl sich das mit dem ›überleben‹ jetzt wohl erledigt hat.«
Arkadian lief ein Schauder über den Rücken. »Und bei denen ist es das Gleiche wie bei dem hier?«
»Bei einer sieht es genauso aus. In dem anderen Fall ist es … Na ja, es ist eine ziemliche Sauerei.«
»Und bei wem ist es was?«
Bulut schaute ihn an. »Du kanntest die Frau doch, oder? Ich habe deinen Namen auf dem Anmeldeformular gesehen. Wenn es dich tröstet, sie ist nicht die mit der Sauerei.«
»Irgendwelche Verdächtigen?«
»Nur einer: Gabriel Mann.«
Arkadian riss überrascht die Augen auf. »Gabriel? Warum das denn?«
»Er ist auf der Flucht.«
»Das macht ihn noch lange nicht zu einem Mörder.«
»Nein, aber er hatte Verbindungen zu einem der Opfer, und wir haben seine Fingerabdrücke in ihrem Zimmer gefunden … in einem Zimmer, in dem er nicht hätte sein dürfen.«
Arkadian erinnerte sich daran, wie abrupt Gabriel aufgelegt hatte, kaum dass er ihm gesagt hatte, welchen Flug Liv genommen hatte. Er konnte sich durchaus vorstellen, wie er zum Krankenhaus gerannt war, um seine Mutter zu beschützen … zu spät …
»Woher weißt du, dass es Gabriels Fingerabdrücke sind, wo doch die Server down sind?«
»Petersen hat sie wiedererkannt. Wenn er sagt, die gehören Gabriel Mann, dann reicht mir das … vorerst zumindest.«
Hendrik Petersen war der Fingerabdruckspezialist der Polizei von Trahpah. Er war geradezu ein Künstler mit Pinsel und Graphit. Er konnte von fast allem einen Fingerabdruck abnehmen und besaß ein fotografisches Gedächtnis. Erst vor knapp zwei Wochen hatte er seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt, nachdem die Leiche von Liv Adamsens Bruder aus der Leichenhalle gestohlen worden war. Da hatte er auch Gabriels Fingerabdrücke gefunden. Wenn er also behauptete, das hier im Krankenhaus seien die gleichen Fingerabdrücke, dann war das so. Gabriel war hier gewesen.
»Macht es euch etwas aus, wenn ich mir das mal ansehe?«
»Kein Problem.« Bulut drehte sich wieder zu dem Zelt um. »Ich habe hier genug zu tun.«
Auf dem Weg zur Tiefgarageneinfahrt schaute Arkadian zu der Reportermeute, die sich hinter der Absperrung drängte. Eine Kamera war auf ihn gerichtet, und rasch wandte er sich ab, bis er in der Tiefgarage verschwunden war.
Am Fuß der Rampe blieb er stehen und holte das Telefon aus der Tasche. Noch immer kein Empfang. Dabei musste er dringend
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