Sacramentum
Liv bereits in Schwierigkeiten. Ich dachte, sie wäre tot. Die Vorderseite des Tau stand offen, und das Innere war hohl und mit Dornen gespickt wie eine eiserne Jungfrau.«
»Und da war nichts drin?«
»Nichts.«
Dr. Anata nickte. »Dann hat sie das Sakrament wirklich befreit. Du musst kurz danach angekommen sein. Und das wiederum heißt, dass sich nun die Spiegelprophezeiung erfüllen wird. Wann hat es hier zum letzten Mal ein Erdbeben gegeben?«
»Ich weiß nicht. Vor zwanzig Jahren? Vielleicht ist das auch länger her. Das könnte alles ein Zufall sein.«
»Ich glaube nicht an Zufälle, nicht nach allem, was bereits geschehen ist. Ich glaube an Schicksal und Bestimmung. Denk doch mal an die erste Prophezeiung: Sie hat sich Wort für Wort erfüllt.« Dr. Anata fuhr erneut mit dem Finger über die zweite Prophezeiung bis zu der Stelle, wo das Tau auseinanderlief. »Und bei dieser wird es nicht anders sein. Wir befinden uns bereits auf dem Weg, der zu dieser Kreuzung führt – dieser Wahl, die wir treffen müssen. Der eine Weg führt zum Licht, der andere in die Dunkelheit.«
Gabriel las die letzten Zeilen. Erst jetzt wurde ihm richtig bewusst, wie apokalyptisch sie wirklich waren.
… die Erde wird zerbrechen, und eine große Plage
wird das Ende aller Zeiten ankündigen
»Und wie können wir das aufhalten?«
»Das können wir nicht. Wir können nur sicherstellen, dass wir den richtigen Weg wählen, wenn die Zeit gekommen ist.« Dr. Anata deutete auf den Mittelteil. »Das steht hier.«
Gabriel las. Er ignorierte die eher esoterischen Teile und konzentrierte sich auf das, was er verstehen konnte.
Der Schlüssel muss der Sternenkarte heimfolgen
Um dort innerhalb einer vollen Mondphase das
Drachenfeuer zu löschen
»Was ist die Sternenkarte?«
»Das ist noch so ein Mythos. In alter Zeit, als die Welt noch jung war und sich stetig veränderte, haben die ersten Menschen angeblich das Geschenk der Sprache bekommen, um bestimmte heilige Texte aufzuzeichnen. Eines der Dinge, die sie niedergeschrieben haben, war die genaue Lage ihres heiligsten und verbotenen Ortes; doch da die Erde noch immer in Bewegung war, orientierten sie sich dabei an den unveränderlichen Sternen und schufen den Imago Astrum – die Sternenkarte.
Der Ort, der dort verzeichnet ist, markiert die Stelle, an der der göttliche Funke zum ersten Mal auf die Erde gekommen ist, unser aller Heim, der Garten Eden. Und weil die Sternenkarte dessen Lage enthüllt, wurde sie zum meistgesuchten Artefakt der antiken Welt. Ihr Besitz galt nicht nur als Bestätigung des göttlichen Mandats eines Herrschers; man glaubte auch, sie bringe ihrem Besitzer großen Reichtum. Zu den Herrschern, von denen man weiß, dass sie den Imago Astrum besessen haben, gehören König Salomon, Krösus von Lydien und Alexander der Große – alles legendäre Herrscher, die sowohl für ihre Macht als auch für ihren unermesslichen Reichtum berühmt waren.
Als Dank für den göttlichen Reichtum, den die Karte ihnen gebracht hatte, hinterlegten diese großen Männer einen Teil ihres Reichtums an dem heiligen Ort. Damit wollten sie nicht nur die Macht erfreuen, die ihnen so viel Glück beschert hatte, sondern sie glaubten auch, dass ihre Schätze dort vor Dieben sicher waren. Und tatsächlich ist viel vom Reichtum dieser Männer nach ihrem Tod verloren gegangen. Wenn dieser Ort wirklich existiert – und wenn er noch gefunden werden kann –, dann wäre er die größte Schatzkammer der Weltgeschichte. Gold, Juwelen … unschätzbar.«
»Und was ist mit der Karte passiert?«
»Diese Frage hat sich seit zweieinhalbtausend Jahren jeder Herrscher, jeder Gelehrte und jeder Schatzjäger gestellt. Tatsächlich weiß das niemand. Die letzte Erwähnung stammt aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., als Alexander der Große gestorben ist. Sein Königreich wurde aufgeteilt, und die Sternenkarte ging verloren. Einige glauben, sie sei geraubt und nach Persien gebracht worden; andere wiederum sagen, sie sei irgendwo in der Großen Bibliothek gelandet, die zu Ehren des toten Königs in Alexandria errichtet worden ist. Letzteres glaubten in jedem Fall die Römer. Julius Cäsar ließ die Bibliothek auf der Suche nach der Sternenkarte niederbrennen, doch er hat sie nie gefunden. Es gab sogar eine große Gruppe, die glaubte, die Sternenkarte sei das Sakrament, doch dieser Text hier besagt eindeutig, dass es sich um zwei verschiedene Dinge handelt: zwei Dinge, die laut dieser Prophezeiung irgendwann
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