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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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war so weit weggerannt, wie sie konnte, und doch lebte sie noch immer im Schatten des Berges und der Geheimnisse, die er bewahrte. Dann kam ihr ein Gedanke. Sie griff nach dem Blatt Papier und las noch einmal die Notiz von Athanasius. Dann hob sie den Blick und lächelte Gabriel an. »Ich glaube, ich weiß, wie du in die Zitadelle kommen kannst«, sagte sie.

59
    Die Aufzugtür glitt auf, und Dick trat auf den blaugrauen Teppich im siebten Stock hinaus. Kurz blieb er stehen, schaute den langen, leeren Flur hinunter und lauschte. Dann wandte er sich nach rechts, wie die Empfangsdame gesagt hatte. Er schlich so leise, wie man es bei seiner Größe nicht für möglich gehalten hätte, vorwärts und lauschte an jeder Zimmertür, an der er vorüberkam.
    Dick ging an einem Tablett mit Frühstücksresten vorbei und an ein paar Türen mit einem ›Bitte nicht stören‹-Schild an der Klinke, doch ansonsten schien der Flur unbewohnt zu sein.
    Der hydraulische Arm einer Brandschutztür zischte, als Dick durch sie hindurch und in den Flur ging, der am weitesten entfernt von der Haupttreppe war. Sein eigenes Zimmer lag direkt hinter der Tür, doch er ging vorbei. Dick folgte seinen Raubtierinstinkten und einem leisen Murmeln am Ende des Flurs. Er folgte dem Geräusch, das kaum mehr als ein Flüstern war, bis er vor der Tür des Zimmers stand, aus dem es kam.
    Dick streckte die Hand aus, legte die Fingerspitzen auf die Tür und spürte die kaum wahrnehmbaren Vibrationen dahinter. Dann beugte er sich vor und hielt das Ohr an die Tür. Sie entsprach den allgemeinen Brandschutzrichtlinien, und das hieß, dass sie nicht nur ungewöhnlich stabil war, sondern auch gut Schall leitete. Drinnen war ein Fernseher zu hören – die Nachrichten – und das leise Murmeln zweier Menschen, die miteinander sprachen.
    Dick veränderte seine Position und presste das Ohr noch fester an die Tür. Ursprünglich hatte er geplant, sich als Zimmerservice auszugeben, und dem Mädchen das Genick zu brechen, kaum dass sie die Tür öffnete; doch eine weitere Person verkomplizierte die Situation dramatisch. Dick hatte gelernt, seine Gewalttätigkeit zu zügeln, und seine Gefühle in Worte zu fassen. Worte gaben ihm Kontrolle, und das Wort für diese Situation war klar:
    Ge-duld.

60
    Liv stand unter der heißen Dusche und spürte, wie langsam die Spannung von ihr abfiel, die sie die letzten paar Wochen mit sich herumgetragen hatte. Es überraschte sie, wie ruhig sie nach dem Gespräch mit Gabriel war. Dabei hatte sie effektiv noch zwei Wochen zu leben und eine unmögliche Aufgabe zu erfüllen, wenn sie daran etwas ändern wollte, und doch reagierte sie hauptsächlich mit Erleichterung darauf. Liv hatte einmal gelesen, dass Soldaten ähnlich empfanden, wenn sie endlich den Einsatzbefehl bekamen. Und es hatte tatsächlich etwas Tröstendes an sich, wenn man wusste, dass man sein Schicksal selbst in der Hand hatte, selbst wenn sich alles gegen einen zu verschwören schien. Liv drehte das Wasser ab und schnappte sich den Bademantel und eines der dünnen Handtücher von der Stange.
    Nach der Helligkeit und Wärme des Badezimmers wirkte das Schlafzimmer besonders kalt. Gabriel hatte gesagt, sie solle erst einmal bleiben, wo sie war, während er sich um ihren Rücktransport nach Trahpah kümmerte. Was sie dann erwartete, das wusste Liv nicht – ja, sie hatte noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung –, aber sie würde bei ihm sein, und das war ja schon mal was.
    Liv packte ihre Sachen zusammen und legte ein paar frische Kleider auf den Stuhl, zog sie aber nicht an. Die Reisevorbereitungen würden eine Weile dauern, und sie hatte seit mehr als vierundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen. Also würde sie sich erst einmal ein wenig hinlegen. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, wickelte sie sich das kleine Handtuch um das nasse Haar und kroch ins Bett.
    Die Laken waren gestärkt und kühl auf ihrer Haut, und die Matratze war fest, doch sie fühlte sich wie feinste Daunen an. Draußen hörte Liv den zunehmenden Verkehr. Die morgendliche Rushhour stand kurz bevor. Es kam Liv irgendwie seltsam vor, dass sie hier in einem unscheinbaren Hotelzimmer in New Jersey lag und über die bevorstehende Reise nachdachte, die sie schlussendlich in den biblischen Garten Eden führen würde. Das war einfach absurd. Sie hätte genauso gut im Reisebüro anrufen und einen Flug nach Mordor buchen können. Liv war nicht wirklich religiös erzogen worden, und sie hatte stets angenommen,

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