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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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Kapelle. Er streckte die Arme aus und formte das Tau mit seinem Körper in einer Geste der vollkommenen Unterwerfung und Demut. So blieb er lange liegen und betete, dass Gott ihm Zeichen geben möge, bis sein Körper ihn so sehr schmerzte, dass er es nicht mehr aushielt und ein Hustenanfall ihn zwang aufzustehen.
    Steif stand Dragan da und klopfte sich den Staub von der Soutane. Ein langer, dünner Goldfaden schwebte durch die Luft und funkelte im Kerzenlicht. Dragan fing ihn. Er war überrascht, so etwas in der Kapelle zu sehen. Im Gegensatz zur Amtskirche jenseits der Mauern des Berges trugen die heiligen Männer der Zitadelle keine golddurchwirkten Zeremonialgewänder. Selbst der Abt und der Prälat trugen die gleichen groben Soutanen wie alle anderen auch; wie da ein Goldfaden seinen Weg hierher gefunden hatte, war unerklärlich.
    Dragan hielt den Goldfaden ins Licht und zog ihn in die Länge, um ihn sich genauer ansehen zu können. Dann erkannte er, was es war. Das war kein Goldfaden, sondern ein langes blondes Haar, an der Spitze ein wenig heller, an der Wurzel dunkler. Es war das gebleichte Haar einer Frau. Dragans Gedanken wanderten zu der Frau, die aus der Zitadelle evakuiert worden war. Er hatte ihr Bild in den Nachrichten gesehen und bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus sogar einen kurzen Blick auf sie persönlich erhascht. Ihr Haar war ebenfalls blond und genauso lang wie das Haar, das er nun in der Hand hielt. Also musste sie hier gewesen sein, hier in der Kapelle. Und sie war eine Frau, ein heiliges Gefäß, das Leben in sich tragen konnte.
    Dragan drehte sich um und verließ die Kapelle mit neugewonnener Entschlossenheit. Rasch eilte er durch den Tunnel in Richtung Treppe. Im Vorraum bog er jedoch in einen Nebentunnel ein. Über eine schmale Treppe stieg er ein paar Ebenen hinab in einen verlassenen Teil des Berges. Rechts und links klafften die Eingänge leerer Zellen. Dragan ging durch die erste Tür und entdeckte, wonach er suchte, an der gegenüberliegenden Wand. Es war ein Guckloch, ein kleines Fenster im Fels, durch das man einen ungehinderten Blick auf Trahpah hatte.
    Dragan holte das Handy aus der Tasche, das er dem toten Priester im Krankenhaus abgenommen hatte. Für gewöhnlich mussten Neuankömmlinge, die über den Tributaufzug in den Berg geholt wurden, sich zum Zeichen ihrer Wiedergeburt ausziehen; außerdem konnte man so sicherstellen, dass sie nichts in die Zitadelle schmuggelten. Die Umstände seiner Rückkehr waren jedoch so außergewöhnlich gewesen, dass man diesen Brauch ignoriert hatte, und deshalb hatte niemand das Handy bemerkt.
    Dragan schaltete es ein, und das Display erwachte zum Leben. Wie er gehofft hatte, hatte er dank des Fensters einen guten Empfang. Seine steifen schwarzen Finger bewegten sich über die Tasten, bis er die Anrufliste fand. Dort stand nur eine Nummer, doch mit der hatte der Priester in den letzten Tagen gleich mehrmals gesprochen. Auch waren SMS von derselben Nummer gekommen. Dragan las sie sich durch und lächelte, als er eine sah, die seinen Tod befahl. Dann wählte er die Nummer, von der die SMS gekommen war.
    Während er darauf wartete, dass der Anruf durchgestellt wurde, ließ er seinen Blick über die Stadt schweifen. Dabei fiel ihm auf, dass er in derselben Zelle stand, in die man Bruder Samuel gebracht hatte, nachdem er beim Initiationsritus versagt hatte. Das war der Ort, von dem er entkommen war. Von hier aus hatten die Ereignisse ihren Lauf genommen, die die Zitadelle in die Krise geführt hatten. Es wäre wahrlich eine Ironie, wenn die Rückkehr von Samuels Schwester den Kreis schließen und alles wieder normal werden würde. Sie musste das Sakrament aus dem Berg gebracht haben, und nur sie konnte es wieder zurückbringen.
    Das Telefon klingelte.
    Dragan wartete.
    Dann, just wie Gott es vorherbestimmt hatte, nahm jemand ab.

63
    Vatikanstadt
    Clementi war in seinem Büro auf und ab gelaufen und hatte auf eine Bestätigung seines letzten Befehls gewartet, als plötzlich das Telefon geklingelt hatte. Er drückte seine Zigarette aus und ging dran. »Gibt es was Neues?«
    »Ja.« Die Stimme hatte einen starken Akzent und klang unbekannt. »Ich bringe Neuigkeiten von jenseits des Grabes.«
    Clementi schwieg. Er fürchtete eine Falle.
    »Keine Sorge«, fuhr die Stimme fort, »ich bin nicht wütend auf Sie, weil Sie meinen Tod befohlen haben. Tatsächlich verstehe ich besser als die meisten anderen, wie wichtig absolute Geheimhaltung ist.

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