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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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Markante war dabei ein hellblaues Logo am Heckleitwerk, das eine weiße Taube vor einem grauen Himmel zeigte. Im Inneren sah die Maschine jedoch ganz und gar nicht wie ein gewöhnliches Flugzeug aus. Die Sitzreihen waren herausgerissen und durch eine Doppelreihe Stahlbetten ersetzt worden, die sich fast durch das gesamte ehemalige Passagierabteil erstreckte. Am Heck hatte man jedoch noch eine kleinere Sektion abgeteilt und in einen voll funktionsfähigen Operationssaal verwandelt.
    Die DC-9 gehörte der White Dove Organization, einer global agierenden kirchlichen Wohlfahrtsorganisation, die schwer traumatisierte und verletzte Zivilisten aus Kriegsgebieten ausflog, damit sie im Westen behandelt werden konnten. Das Flugzeug machte drei Rundflüge die Woche. Patienten transportierte es jedoch fast nur auf dem Hinweg. Auf dem Rückflug diente es als Transportflugzeug; deshalb hatten die Betten auf diesem Flug auch keine Matratzen mehr. Stattdessen dienten sie als Halterung für Kisten voller medizinischer Gerätschaften.
    Lediglich eine Patientin war an ein Bett geschnallt. Drei Sicherheitsgurte hielten sie an Knien, Hüfte und Brust fest. Die dünnen Arme waren bandagiert wie die einer Mumie; Gleiches galt für den Kopf. Das Gesicht wiederum war von einer Gelmaske bedeckt, was darauf schließen ließ, dass die Patientin schwere Verletzungen im Kopf- und Gesichtsbereich sowie an Armen und Torso davongetragen hatte.
    Die Krankenakte hing in einem Plastikbeutel neben dem Bett zusammen mit einem Pass, der die Patientin als Annie Lieberman identifizierte, eine Missionarin aus Ohio, die in Westguinea auf brutalste Art von Soldaten vergewaltigt, misshandelt, in Brand gesteckt und dann als vermeintlich tot liegengelassen worden war. Der Zollbeamte, der das Flugzeug vor dem Start untersucht hatte, hatte sich die Krankenakte angeschaut, aber nicht die Verbände gelöst oder die Maske abgenommen. Brandopfer sahen ohnehin nie wie auf den Fotos aus; also wäre es ohnehin sinnlos gewesen. In der Krankenakte stand, dass sie im Verbrennungszentrum des Saint Barnabas in New Jersey behandelt worden war, und nun wurde sie in eine Spezialklinik in Bangkok verlegt, damit dort ihr Genitalbereich sowie ihre Brüste wiederaufgebaut werden konnten. Der Beamte war kreidebleich geworden, als er die Details gelesen hatte, und rasch hatte er die notwendigen Papiere unterschrieben.
    Das Flugzeug flog eine Kurve, als es durch die Wolkendecke brach, und die Kabine wurde von Licht erfüllt, als die Maschine wieder in den Horizontalflug überging und Richtung Osten flog. Zu den Modifikationen des Flugzeugs gehörten auch zusätzliche Tanks, die ihm eine wesentlich größere Reichweite verliehen als anderen Maschinen seines Typs, doch in siebeneinhalbtausend Meilen Höhe war Bangkok noch immer zu weit, als dass sie es ohne Zwischenlandung hätten schaffen können. Als Folge davon war ein Tankstopp am Gaziantep International Airport im Süden der Türkei eingeplant.
*
    Liv lag auf ihrem Bett, wach und doch nicht wach. Sie war sich des Brummens und der Vibrationen der Triebwerke bewusst. Sie spürte den Druck der Sicherheitsgurte, die sie festhielten, und da war auch etwas auf ihrem Gesicht und ihrer Haut. Sie versuchte, den Arm zu bewegen, doch nichts geschah. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, doch sie blieben geschlossen. Es war, als wären die Kommunikationsverbindungen zwischen ihrem Hirn und ihrem Körper unterbrochen, sodass sie sich zwar nicht mehr bewegen konnte, aber bei vollem Bewusstsein war. Dann kam ihr eine sensorische Erinnerung, und sie begann zu hyperventilieren. Sie kannte diese Gefühle: Klaustrophobie, Gefangenschaft, Schmerz. All diese Dinge waren ihr so vertraut, dass sie sich wie ein Teil von ihr anfühlten. Sie gehörten zu dem Ding, das sie jetzt in sich trug, und das sie gebären musste wie ein finsteres Kind, bevor sie beide keine Zeit mehr hätten. Liv erinnerte sich an den Traum von dem Drachen, und sie fühlte seine Gegenwart in der Nähe. Er wartete nur darauf, das Kind zu verschlingen, ganz so wie es in der Offenbarung des Johannes stand. Dann wurde etwas von ihrem Gesicht genommen, und eine Stimme flüsterte ihr ins Ohr:
    »Versuchen Sie nicht zu sprechen, und bewegen Sie sich nicht. Das wird Ihnen sowieso nicht gelingen und Sie nur verrückt machen. Sie sind mit einer Droge gelähmt worden, die man Suc-ci-nyl-cho-lin nennt. Aber keine Angst, die Wirkung wird schon bald wieder abklingen.«
    Liv spürte einen Druck auf

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