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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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ihren Augenlidern, als der Mann Daumen und Zeigefinger darauf legte und sie sanft damit öffnete. Gleißend helles Licht brannte sich in Livs Kopf, und sie blickte nicht in das Antlitz irgendeiner biblischen Bestie, sondern in das Gesicht eines Mannes. »So, das hätten wir«, sagte der Mann. »Und bald sind Sie wieder da, wo Sie hingehören.«
    Seine Worte riefen Panik in Liv hervor. Der Mann redete weiter, doch Liv hörte ihm nicht länger zu. Sie hörte nur noch das Flüstern in ihrem Kopf, das alles andere verschluckte wie ein Schrei und Bilder eines mit Dornen gespickten Taus in der Kapelle des Sakraments heraufbeschwor. Ihr Haut schmerzte bei der Erinnerung daran, und Angst brannte in ihrem Blut. Dann fiel ihr die Notiz des Mönches wieder ein:
    Sie haben sie also schwach gehalten.
    Das Licht Gottes, eingesperrt in der Dunkelheit, denn sie wagten es nicht, sie freizulassen, aus Angst vor dem, was dann folgen würde.
    Aber sie konnten sie auch nicht töten, denn sie wussten nicht wie.
    Sie hatten sie seit Anbeginn der Zeit gefangen gehalten, und Liv hatte sie befreit, doch nicht für lange.
    Bald sind Sie wieder da, wo Sie hingehören , hatte der Mann gesagt. Sie wurden zur Zitadelle gebracht, um erneut in der Finsternis eingesperrt zu werden.

70
    Der Bruder Gärtner ging durch die kühlen, dunklen Gänge des Berges und trug die Wärme seiner letzten Arbeit mit sich. Er roch noch immer den Rauch des Holzfeuers und spürte die Hitze auf seiner Haut.
    Der Bruder Gärtner war schon vor Sonnenaufgang auf den Beinen gewesen und hatte seine Männer in Teams von jeweils acht eingeteilt, jeder mit Säge und Astschere bewaffnet. Sie hatten an einem Ende des Gartens begonnen und systematisch jeden einzelnen Baum so tief beschnitten, wie sie es wagten. Zuerst hatte es so ausgesehen, als seien vor allem die ältesten Bäume von der Krankheit betroffen, doch je tiefer sie in den Garten vordrangen, desto häufiger sahen sie auch welkes Laub an jüngeren Exemplaren.
    Wieder hatte der Bruder Gärtner es persönlich auf sich genommen, den Scheiterhaufen zu errichten und sich jeden einzelnen geopferten Ast genau anzusehen, in der Hoffnung, dass einer darunter war, der ihnen verriet, was den Garten heimsuchte. Erst nachdem der letzte kranke Ast auseinandergenommen und ins Feuer geworfen war, hatte der Bruder Gärtner sich erlaubt, sich die Verwüstung anzusehen, die sie über den Hain gebracht hatten. Er arbeitete seit über vierzig Jahren hier im Garten und kannte jeden Halm und jeden Busch, doch nun erkannte er gar nichts mehr. Und als die Flammen die letzten Äste verschlangen, da hatte er noch immer keine Ahnung, was das für eine Krankheit war und wie er sie bekämpfen konnte. Erschöpft und verzweifelt hatte er dem Feuer den Rücken zugekehrt und Zuflucht im Berg gesucht. Nun gab es nur noch eines, was er versuchen konnte.
    Der Bruder Gärtner stolperte durch den Tunnel und stützte sich dabei an der unebenen Felswand ab. Er hoffte, dass er niemandem begegnen würde, bevor er in einer Privatkapelle verschwinden konnte, wo er Gott auf Knien anflehen wollte, seinen Garten zu verschonen. Er erreichte die Stufen, die zu der Halle unter der Kathedralengrotte führten, und fast hätte er das Gleichgewicht verloren, so müde waren seine Beine. Er hatte das Gefühl, als würde er krank werden. Vor ein paar Stunden hatte er Nasenbluten gehabt, und da war ein Orangenduft, den er einfach nicht aus der Nase bekam. Unten mündete die Treppe in einen kurzen, schmalen Gang mit Türen auf beiden Seiten, jede mit einer Kerze daneben. Die meisten davon brannten und zeigten damit an, dass eine Kapelle besetzt war, doch einige brannten auch nicht. Und zu solch einer Tür ging der Bruder Gärtner nun, zündete die Kerze an und betrat den Raum.
    Die Kapelle war wenig mehr als eine Höhle, die einfach in den Fels des Berges geschlagen worden war. Sie wurde von den flackernden Votivkerzen vorheriger Besucher erhellt, als der Bruder Gärtner sich auf den Boden niederließ, der von den Knien der Gläubigen blank poliert war.
    Selbst hier, im kalten Herzen des Berges, spürte er noch immer die Hitze des Scheiterhaufens. Er bekam eine Gänsehaut, als er sich niederkniete und zu dem kleinen T-förmigen Kreuz auf dem Altarstein emporschaute.
    Seine Bäume. Sein Garten. Verschlungen erst von einer Krankheit und dann von den Flammen wie eine von Gott verfluchte Seele. Und der Bruder Gärtner konnte nichts dagegen tun.
    Nun konnte er seinen Gefühlen

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