Sacramentum
mit der Polizei sprechen wollten, nicht andersherum.
Gabriel schaute zu dem Fernseher, der in einer Ecke des Raums flackerte. Die Uhr, die unten mitlief, sprang eine Minute weiter. Ihm blieben noch vier Minuten Zeit, um sich zu entscheiden, ob er Arkadian zurückrufen sollte oder nicht.
Gabriel hatte fast den ganzen Tag über die Nachrichten geschaut, um sich zwischen den verschiedenen Telefonaten mit Kontaktleuten und Bekannten auf dem Laufenden zu halten, die er eingespannt hatte, um Liv eine sichere Rückkehr in die Türkei zu garantieren. Er hatte so gut wie jeden Gefallen eingefordert, den man ihm schuldete, und nun hatte Liv ein Ticket für einen Frachtflieger und einen falschen Pass, der am Flughafen auf sie wartete. Er hatte schon versucht, ihr Bescheid zu sagen, doch sie ging nicht ans Telefon. Vielleicht war sie ja eingeschlafen … zumindest hoffte er das. Die Uhr tickte weiter. Im Fernsehen lief ein weiterer Bericht über die Todesfälle im Krankenhaus. Ein Bild seiner Mutter erschien, und Gabriel wandte sich ab. Dann schaute er wieder auf sein Handy.
Die fünf Minuten waren um.
Er wählte die Nummer.
*
Arkadian hörte das Klingeln des Telefons bereits, als er sich durch die Menschenmenge auf dem Bahnhof kämpfte. Es hörte im selben Augenblick auf, als er den Apparat erreichte. Arkadian stieß einen lauten Fluch aus. Mehrere Leute drehten sich zu ihm um. Er tat so, als krame er in seiner Tasche nach Kleingeld. So konnte er länger an dem Apparat stehen, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Beinahe sofort klingelte es erneut.
»Ich bin hier«, sagte er.
»Was soll das mit der neuen Nummer? Haben Sie dort eine bessere Fangschaltung?«
»Keine Fangschaltung«, erwiderte Arkadian, »im Gegenteil. Mein Telefon kann man wesentlich leichter anzapfen – tatsächlich ist es sogar dafür gebaut –, aber ich hielt es für besser, erst einmal ein wenig unterzutauchen. So können wir ungestört miteinander reden. Hören Sie, es tut mir wirklich sehr, sehr leid, was im Krankenhaus geschehen ist.«
Gabriel schwieg.
»Ich habe auch alle Aufzeichnungen zu Ihrer Flucht aus dem Gefängnis überprüft, und Sie hatten recht: Alles ist weg, die Kameraaufnahmen, die Einlieferungsakten, alles.«
»Also, wenn es keine Beweise für meine Flucht gibt, dann wird mich wohl auch niemand suchen.«
»Oh, die suchen Sie. Verlassen Sie sich drauf. Allerdings sucht man Sie jetzt wegen etwas anderem. Man hat Ihre Fingerabdrücke im Krankenhaus gefunden, und jetzt sind Sie der Hauptverdächtige bei allen drei Morden.«
Gabriel musste das erst einmal verdauen. Davon war in den Nachrichten nicht die Rede gewesen. Offensichtlich hatte die Polizei eine Nachrichtensperre verhängt, um ihn nicht unnötig in Panik zu versetzen und zur Flucht zu provozieren.
»Dieser Cop war keiner«, sagte er.
»Ich weiß. Ich habe ihn überprüft. Ich versuche herauszufinden, wer er war und woher er gekommen ist, aber ich lande immer wieder in einer Sackgasse. Ich weiß zwar nicht, wo Sie sind, aber Sie sollten den Kopf lieber unten halten.«
»Warum sind Sie plötzlich auf meiner Seite?«
»Weil Sie recht gehabt haben: Irgendetwas ist hier ganz furchtbar faul. Ich mache mir schreckliche Vorwürfe, weil ich nicht mehr unternommen habe, um Ihre Mutter zu beschützen. Ich hätte wissen müssen, in was für einer Gefahr sie schwebt … in was für einer Gefahr Sie alle schweben. Ich werde alles dafür tun, dass so etwas nicht noch einmal passiert.«
»Was ist mit Liv? Dieselben Leute suchen sie auch.«
Arkadian atmete tief durch. »Ich glaube, sie haben sie schon gefunden.« Dann berichtete er Gabriel von seinem Gespräch mit dem Cop in New Jersey.
»Sie ist nicht tot«, erklärte Gabriel, als Arkadian fertig war. »Wenn sie sie hätten töten wollen, dann hätte der Cop ihre Leiche in dem Hotelzimmer entdeckt. Sie bringen sie hierher. Sie müssen wissen, dass sie das Sakrament bei sich trägt, und sie wollen es wieder zurück.«
Er schaute auf seine Uhr und rechnete sich aus, wie spät es in New Jersey war. »Um wie viel Uhr haben Sie mit diesem Cop gesprochen?«
»Vor ungefähr zwanzig Minuten.«
»Und hat er Ihnen irgendeinen Hinweis darauf gegeben, wie lange sie schon vermisst wird?«
»Er hat gesagt, er habe sie am Flughafen abgeholt und gegen vier Uhr morgens in ein Hotel gebracht. So um neun hat er dann nach ihr gesehen, nachdem sie nicht mehr ans Telefon gegangen ist. Kurz nach sieben wurde in dem Hotel der Feueralarm
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