Sacramentum
das Gesicht zum Gitter.
»Hast du etwas zu beichten?«, fragte eine leise Stimme.
»Ich würde gerne eine Nachricht an Bruder Peacock übermitteln.« Es folgte eine kurze Pause; dann stand wer auch immer sich auf der anderen Seite befand einfach auf und ging.
Dr. Anata lauschte seinen Schritten, die alsbald in der Kirche verhallten. Sie war nicht sicher, was sie eigentlich erwartet hatte, aber diesen plötzlichen und stummen Abgang sicherlich nicht. Dr. Anata wurde nervös. Als Akademikerin war sie gefahrvolle Situationen schlicht nicht gewöhnt, und ihr Verstand arbeitete auf Hochtouren. Sie stellte sich alle möglichen Szenarien vor, einschließlich solche, die mit Sicherheitsbeamten und brutalen Verhören zu tun hatten. Nur die Wichtigkeit der Botschaft, die sie übermitteln sollte, hielt sie davon ab, sich einfach davonzuschleichen, solange sie noch die Gelegenheit dazu hatte. Einen Augenblick später öffnete sich der Vorhang auf der anderen Seite des Gitters wieder. An Flucht war jetzt nicht mehr zu denken. Dann sprach eine andere Stimme und das so nah, dass Dr. Anata unwillkürlich zusammenzuckte.
»Ich bin der Gesandte von Bruder Peacock«, sagte die Stimme. »Sie haben eine Botschaft für ihn?«
»Ja.«
»Sagen Sie sie mir, und ich werde dafür sorgen, dass er sie bekommt – vertraulich.«
Dr. Anata nahm einen versiegelten Umschlag aus der Tasche. »Ich habe einen Brief für ihn.«
»Dann neigen Sie das Haupt vor Gott, und beten Sie, dass er ihn bekommt.«
Dr. Anata tat, wie ihr geheißen. Zwischen den beiden Abteilen des Beichtstuhls wurde eine kleine Klappe aufgeschoben, und Dr. Anata schob den Umschlag hindurch; dann schloss sich die Klappe genauso schnell wieder, wie sie geöffnet worden war.
»Wann wird Bruder Peacock die Botschaft bekommen?«, fragte sie, doch sie erhielt keine Antwort. Wer auch immer den Brief an sich genommen hatte, war schon längst wieder weg.
68
Im vierten Stock des Polizeipräsidiums von Trahpah ging es so geschäftig und chaotisch zu, wie Arkadian es noch nie gesehen hatte. Laute Stimmen und das Klingeln von Telefonen füllten das Großraumbüro, und überall roch es nach verbrühtem Kaffee und Stress. Das Hauptproblem waren die Plünderer. Infolge des Erdbebens waren die üblichen Opportunisten durch die Dunkelheit gezogen und hatten Geschäfte heimgesucht, deren Türen und Fenster durch das Erdbeben aufgebrochen worden waren. Erst im Licht des Tages und nachdem sie sich erst einmal gefreut hatten, noch am Leben zu sein, hatten die Menschen bemerkt, dass sie beraubt worden waren. Von dem Augenblick an, als der Strom wieder angestellt worden war und die Telefone funktionierten, hatte im Raub- und Einbruchsdezernat Land unter geherrscht.
Arkadian saß an seinem Schreibtisch in der Ecke und tat sein Bestes, den Lärm zu ignorieren. Heute war er einer der wenigen Beamten, die es mit einer Leiche und nicht mit einem Einbruch zu tun hatten. Seit seiner Rückkehr vom Krankenhaus hatte er versucht herauszufinden, woher der tote Beamte gekommen war. Er hatte den Namen Nesim Sentürk in keiner Datenbank der umliegenden Bezirke gefunden; also hatte er seine Suche ausgedehnt, inzwischen aufs ganze Land. Sein Computer hatte alle Hände voll zu tun; schließlich galt es eine Stecknadel im Heuhaufen von Daten zu finden, die über Jahre oder gar Jahrzehnte aufgelaufen waren.
In der Zwischenzeit hatte Arkadian sich noch einmal um Liv gekümmert. Ein Anruf bei Yun hatte bestätigt, dass ihr Flug um fünf Minuten nach drei Uhr früh in Newark gelandet war, ein wenig früher als geplant. Arkadian hatte daraufhin bei der Flughafenpolizei von Newark angerufen, und nach ausführlichen Sicherheitsüberprüfungen, bei denen er mehr persönliche Angaben hatte machen müssen als bei seiner Bank, hatte man ihn schließlich ins Hauptkontrollzentrum durchgestellt. Der dortige Dienstleiter bestätigte, dass Liv Adamsens Pass elf Minuten nach der Landung beim Zoll registriert worden war, und auf den Bildern der Überwachungskameras war zu sehen, wie sie eine Minute später das Gebäude verlassen hatte und von einem Streifenwagen abgeholt worden war. Der Mann gab Arkadian sogar die Wagennummer. Nach einem weiteren Anruf, diesmal bei der Staatspolizei von New Jersey, hatte Arkadian auch einen Namen: Sergeant William Godlewski. Godlewski war gegenwärtig nicht im Dienst; allerdings versprach sein Dienststellenleiter ihn sofort zu kontaktieren und zu bitten, dass er Arkadian zurückrufen
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