Saeculum
Mauer neben der Gruft lehnte und den Kopf gesenkt hatte.
Die anderen begannen zu tuscheln. Ralf und Nathan steckten die Köpfe zusammen, Alma starrte Bastian an und selbst Steinchens Blick ruhte prüfend auf ihm.
»Ihr glaubt den Quatsch doch nicht?«, rief Bastian. »Ich habe Paul vor ein paar Wochen zum ersten Mal gesehen! Ich kenne ihn überhaupt nicht, nicht besser jedenfalls als irgendwen von euch anderen. Komm, Paul, sag es ihnen.«
Keine Antwort. Pauls Gesicht lag im Dunkeln.
Bastian sah Iris Hilfe suchend an, doch sie schüttelte nur in einer ratlosen Geste den Kopf.
Er blickte Lisbeth fest in die Augen. »Okay, verstehe. Paul ist also mein Bruder und ich weiß davon nichts. Woher hast du diese Geschichte noch mal?«
»Von Sandra.« Lisbeth schluckte. »Ich musste ihr versprechen, es niemandem zu sagen, und ich frage mich immer wieder, ob sie noch hier wäre, wenn sie es mir nicht verraten hätte. Aber ich habe es ganz ehrlich für mich behalten, nicht einmal Georg habe ich es erzählt.«
Sandra, hallte es in Bastians Kopf nach. Sandra. Wieso hatte sie dieses Gerücht in die Welt gesetzt? Woher hatte sie diesen Quatsch?
»Ich habe keinen Bruder«, sagte Bastian. Es hörte sich trotzig an, als wollte er sich verteidigen. Niemand antwortete und die entstehende Stille lastete auf ihm. Das war alles lächerlich. Warum sagte Paul nicht endlich etwas dazu?
Er wollte ihn gerade dazu auffordern, da traf Bastian eine Erinnerung wie ein Faustschlag in den Magen. Paul, nachts, beim Wachehalten in der Finsternis. Wenn es nach mir geht, noch viel mehr als Freunde.
Bastian hatte gedacht, das wäre ein Annäherungsversuch gewesen. Konnte es sein, dass … Nein.
»Wenn Sandra das wirklich behauptet hat, war es vermutlich ein Scherz«, stieß Bastian hervor, als ihm das Warten zu lange dauerte. »Mir gegenüber hat sie es nie erwähnt. Kein einziges Mal. Und jetzt mal ganz im Ernst, findet irgendjemand von euch, wir sehen uns ähnlich? Das ist doch Blödsinn. Falls das hier eine Pointe haben soll, kapiere ich sie nicht.«
Paul hob den Kopf und es machte den Eindruck, als brauche er dafür seine ganze Kraft. »Es tut mir so leid, Bastian.« Er ging einen Schritt auf ihn zu, blieb zögernd wieder stehen. »So sollte das nicht ablaufen. Das war völlig anders geplant. Ich … ach, Scheiße.« Er wandte sich ab, lehnte seinen Kopf gegen die Mauer. »Es ist alles schiefgegangen, ich weiß auch nicht, wieso.«
Bastian ließ Iris' Hand los und ging auf Paul zu. Was hier ablief, war irgendein merkwürdiger Gag, den er nicht durchschaute, obwohl ihre Situation gerade alles, nur nicht witzig war. »Was, zum Teufel, meinst du? Hast du dieses Gerücht etwa selbst in die Welt gesetzt? Warum? Nichts gegen dich, du bist ein cooler Typ, aber das ist auch schon alles. Mein Bruder bist du nicht.«
Endlich sah Paul ihn direkt an, mit einer Mischung aus Entschiedenheit und Bedauern in den Augen. »Doch. Das bin ich. Ich habe schon befürchtet, dass dir das nicht gefallen wird.«
Bastian musste sich an der Wand abstützen, während in seinem Kopf die Gedanken durcheinanderwirbelten.
Er lügt. Das ist nur ein schlechter Scherz.
»Wann hast du denn deine brüderlichen Gefühle für mich entdeckt? Beim Mittelaltermarkt? Oder im Zug?« Er schnaubte. »Hat das etwa mit Doros bescheuerten Prophezeiungen zu tun?«
»Ich weiß es schon immer. Seit ich ein kleines Kind war. Meine Mutter hat mir nichts verheimlicht.«
Seine Mutter. Bastian hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Jetzt war sie da, die Welle, die er vorhin hatte anrollen spüren, sie hatte ihn erfasst und würde ihn unter sich begraben, wenn er nicht schnell etwas fand, woran er sich festhalten konnte.
»Du glaubst also, wir haben denselben Vater.«
»Ja.«
Bastians Kopf fühlte sich völlig leer an, er konnte nichts anderes tun als Paul anstarren. Hatte er bisher etwas übersehen? Gab es da Ähnlichkeiten? Die Größe vielleicht. Die Augenbrauen. Und manchmal legte Paul dieses herrische Verhalten an den Tag, das Bastian so hasste. Weil es ihn daran erinnerte, wie sein Vater mit anderen Menschen umging.
Nein, es kann trotzdem nicht sein, wir sind doch praktisch gleich alt!
Er fühlte, wie sich etwas von seiner Körpermitte aus nach oben arbeiten wollte, unkontrollierbar, wahrscheinlich ein Lachen, vielleicht aber auch nicht.
Gleich alt. Als ob das ein Hinderungsgrund wäre.
»Also gut. Das heißt, deine Mutter hatte ein Verhältnis mit meinem … mit unserem
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