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Saeculum

Titel: Saeculum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poznanski Ursula
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brauchte ein paar Sekunden, bis der Groschen fiel, doch dann fiel er, als hätte er das Gewicht eines Ziegelsteins. »Willst du damit etwa sagen, du hast Sandra auf mich angesetzt?«
    »Ich habe sie gebeten, dich … kennenzulernen. Wir sind schon lange befreundet und sie war sofort bereit, mir zu helfen. Sie sagte, du wärst nett, und meinte, wir würden uns sicher gut verstehen. Da hatte ich die Idee, dich hierher mitzunehmen. Ich dachte, dann hätten wir Zeit, uns zu unterhalten, und in einem günstigen Moment wollte ich dir die ganze Geschichte erzählen. Ein paar Tage im Wald, die Gelegenheit sich anzufreunden, weißt du? Ohne Ablenkung von außen und - ganz ehrlich - ohne dass du einfach abhauen kannst, wenn du mit der Wahrheit nicht gleich klarkommst. Doch dann sind all diese Dinge passiert und wir hatten völlig andere Sorgen.«
    Ein Lockvogel. Paul hatte Sandra wirklich als Lockvogel eingesetzt. Auf einmal ergab vieles einen Sinn. Dass sie ständig mit ihm geflirtet, aber immer abgeblockt hatte, sobald es hätte ernst werden können. Dass es ihr so wichtig gewesen war, ihn dabeizuhaben, sie aber jedes Interesse an ihm verloren hatte, kaum dass sie im Wald angekommen waren.
    Und ich Idiot habe tatsächlich geglaubt, sie ist in mich verliebt, dachte Bastian.
    »Und was ich letztens gesagt habe, war ernst gemeint: Ich finde dich wirklich sympathisch.« Pauls Stimme war nun leiser als vorher. »Und glaub mir, das wundert mich selbst, nachdem ich dich so viele Jahre lang beneidet und irgendwie auch gehasst habe. Du hattest die Familie, die ich immer wollte.«
    Das Lachen kam wie von allein, ohne dass Bastian es zu stoppen vermochte. Es nahm von seinem Körper Besitz wie Schluckauf, wie Schüttelfrost. Er konnte nichts dagegen tun. Er hörte, wie es in den Gewölben widerhallte, fühlte Iris' beruhigenden Arm, der ihn umfing, und die Tränen, die ihm übers Gesicht liefen. Bekam keine Luft mehr. Irgendwann ging das Lachen in einen Hustenanfall über und hörte dann von selbst wieder auf. Bastian wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab. »Familie!«, keuchte er, während er langsam wieder zu Atem kam. »Da hast du mich ja wirklich um die richtige Sache beneidet.«
    Paul hatte Bastians Lachanfall mit einem Ausdruck echter Bestürzung beobachtet. »Was heißt das?«
    »Deine Mutter hat ihn nicht bekommen. Meine hatte weniger Glück.« Die glasigen Augen, die zitternden Hände, die undeutlichen Worte, die sie hervorpresste. Bastian fuhr sich über die Stirn. »Sie stirbt auch, nur langsamer.«
    Aus den Augenwinkeln sah er, wie Doro aus der Gruft kam und sich ans Feuer zu den anderen setzte. Sie nickte Bastian zu, fast auffordernd, als warte sie darauf, dass er weitersprach.
    Klar, dachte er. Kaum fällt das Wort Sterben, ist Doro ganz Ohr.
    Paul fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Trotzdem«, sagte er. »Du hattest immerhin einen Vater. Ich wünschte, ich wüsste, was für ein Gefühl das ist.«
    »Nimm ihn, du kannst ihn behalten«, entgegnete Bastian und hoffte, Paul würde spüren, wie ernst es ihm damit war. »Ich mache drei Kreuze, wenn ich ihn nicht sehen muss, diesen arroganten, gefühllosen Arsch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dir das wirklich wünschst. Nicht, wenn du ihn erst einmal kennst.«
    Lächelnd zuckte Paul mit den Schultern. »Dann lass ihn uns vergessen. Im Moment bin ich einfach nur froh, dass ich dir gesagt habe, was Sache ist. Ich habe so lange darauf gewartet.«
    Bastian presste die Handballen gegen seine geschlossenen Augen. Paul ist mein Bruder, sagte er sich in Gedanken und überprüfte, welche Gefühle das in ihm hervorrief.
    Verwirrung, vor allem. Aber nicht den Eindruck, angelogen worden zu sein. Da gab es diese kleinen Ähnlichkeiten in Pauls Gesicht, die man erst bemerkte, wenn man danach suchte. Doch sie waren es nicht, die Bastian überzeugten. Es war das Bild seines Vaters, das während der Erzählung vor seinem inneren Auge entstanden war. Der manipulierte Test, das Brüllen am Telefon, die Drohungen, die Lügen - das war sein Stil. Seine Handschrift.
    Doch schwerer wogen die Vorfälle, an die Bastian sich selbst erinnern konnte. Hatte nicht einmal sogar jemand vor der Tür gestanden und sein Vater hatte damit gedroht, die Polizei zu rufen? Vor fünf Jahren. Das kam hin.
    »Das verändert alles«, sagte Bastian nachdenklich.
    »So ist es«, ließ sich Doros Stimme vom Feuer her vernehmen. »Es ist Schicksal, wisst ihr? ›Zwei Brüder sehe ich vor mir, den Bastard und

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