Saeculum
daran entlang, wartete auf das Flackern, das einen Luftstrom anzeigen würde. Noch nichts. Noch nichts …
Er konzentrierte sich so sehr auf seine Suche, dass er das Geräusch erst mit Verzögerung wahrnahm. Ein leises Ssst, wie von einem Gegenstand, der aus einem Futteral gleitet. Noch bevor er sich umdrehte, war ihm klar, dass er einen unverzeihlichen Fehler gemacht hatte. Blitzschnell wandte er den Kopf und sein Blick fiel auf zwei Schatten an der Wand. Seinen eigenen und Georgs, mit erhobenem Arm.
Ohne zu denken, aus einem puren Reflex heraus, sprang er zur Seite, doch das Messer traf ihn am linken Arm. Scharfer Schmerz, Kälte, dann warmes Nass, das seinen Arm hinunterlief. Er ließ die Fackel fallen und presste seine rechte Hand auf die Wunde. Blut lief zwischen seinen Fingern hindurch und im gleichen Moment wurde ihm klar, dass er im Begriff war, den nächsten Fehler zu begehen. Die Fackel war seine einzige Waffe! Er bückte sich schnell, hob sie vom Boden auf - sie brennt noch, zum Glück - und hielt seinen Gegner damit auf Abstand.
»Bist du wahnsinnig geworden?«, brüllte er. »Du Irrer!«
Nun, wo sie einander Auge in Auge gegenüberstanden, wirkte Georg verunsichert. Er hielt das blutige Messer in der Hand, als ob er es im nächsten Moment wegwerfen wolle. »Lisbeth muss hier raus«, keuchte er, das letzte Wort wurde zur Hälfte von einem Hustenanfall verschluckt.
Jetzt war der perfekte Zeitpunkt für einen Gegenangriff. Ein gezielter Tritt, ein Schlag mit der Fackel gegen Georgs rechte Hand, die das Messer hielt - doch Bastian war wie gelähmt. Die Wunde an seinem Arm begann zu brennen, aber er wagte es nicht, sie zu betrachten, noch nicht, er durfte Georg nicht aus den Augen lassen.
»Glaubst du wirklich, es hilft ihr, wenn du mich abstichst? Denkst du -«
Weiter kam Bastian nicht, dumpf hallende Laufschritte näherten sich, unter schweren Tritten knirschte Stein auf Stein und dann tauchte Paul auf. Sein Gesicht war vor Wut so verzerrt, dass es kaum wiederzuerkennen war. Brüllend stürzte er sich auf Georg und rammte ihm seine Faust in den Bauch. Das Messer flog durch die Luft, drehte sich, landete klirrend auf dem steinernen Grund. Georg knickte zusammen. Er krümmte sich ächzend und nach Luft schnappend auf dem Boden.
»Du Arschloch!«, schrie Paul und versetzte dem Liegenden einen Tritt in die Seite. »Ich mach dich kalt! Ich schlag dir den Schädel ein!«
Bastian gab sich einen Ruck. Er bückte sich nach der fast erloschenen Fackel und hob sie auf, schwenkte sie vor Pauls Gesicht. »Hör auf! Er ist außer Gefecht, lass ihn jetzt!«
»Er wollte dich töten!« Blanker Hass stand in Pauls Augen. »Und du läufst einfach allein hier rum, naiv wie ein Lämmchen. Hast du nicht mitgekriegt, was den anderen durch den Kopf geht, seit sie dieses beschissene Gedicht gehört haben? Weil er es vorgelesen hat?« Ein weiterer Tritt traf Georgs Oberschenkel. »Könntest du vielleicht versuchen, wenigstens ein klein wenig selbst auf dich aufzupassen?« Das war nun wieder an Bastian gerichtet.
In seinem Inneren breitete sich das vertraute Gefühl von Scham und Schwere aus. Er öffnete den Mund, brachte aber keinen Ton heraus. Doch er hielt Pauls Blick stand. Ja, du bist sein Sohn. Mehr sein Sohn als mein Bruder.
»Ich habe nicht damit gerechnet, dass Georg so etwas versuchen würde«, sagte er schließlich. »Sorry. Wahrscheinlich war das wirklich naiv.«
Sie sahen einander einige Herzschläge lang weiter in die Augen, dann senkte Paul den Kopf und fuhr sich über die Stirn.
»Entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht anschreien, ich bin nur so erschrocken. Natürlich konntest du mit so was nicht rechnen, mir ist ja selbst erst klar geworden, was los ist, als ich dich rufen gehört habe.« Er sah wieder hoch, in seinen Augen stand Angst. »Wir haben uns eben erst kennengelernt. Noch nicht mal richtig. Aber ich mache mir wirklich Sorgen, dass dir etwas passiert, durch meine Schuld. Ohne mich wärst du ja überhaupt nicht hier.«
Paul wirkte so bedrückt, dass Bastian versucht war, ihm einen Arm um die Schultern zu legen, aber da machte sein Arm, der bösartig schmerzte, nicht mit.
»In Ordnung«, sagte er. »Ich achte in Zukunft besser auf mich.« Zukunft. Wie optimistisch von mir.
Langsames Nicken. Paul blickte gedankenverloren auf Georg, der immer noch keuchte und hustete. Er ging an ihm vorbei und hob das Messer auf. »Was du getan hast, werde ich nie vergessen«, sagte er zu ihm, dann ging er
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