Saeculum
öffnet und eine Leiter herabschwebt?« Ralfs verunsicherter Miene entnahm er, dass das so ungefähr seine Vorstellung gewesen war. »Wisst ihr was? Ihr werdet mich töten und danach neben meiner Leiche sitzen und es wird nichts passieren. Und dann?«
Bedauern in Doros Blick. Aber auch Bestimmtheit. »So wird es nicht sein. Dann sind die anderen frei zu gehen, sagt Tristram. Zu atmen, zu leben, die Sonne zu sehen. Bisher ist alles eingetroffen, was er prophezeit hat. Dein Opfer wird nicht umsonst sein.« Sie dachte kurz nach. »Es ist doch so: Ihr habt keine logische Erklärung dafür, wie der Stein auf den Schacht gekommen ist. Wieso verlangt ihr dann eine dafür, wie er wieder wegkommt?«
»Weil ihr einen Menschen deshalb umbringen wollt!«, schrie Iris.
In Paul, der die ganze Zeit wie erstarrt neben Bastian gestanden hatte, kam plötzlich Bewegung. Er stieß Doro so grob zur Seite, dass sie taumelte, stürmte in die Gruft, man hörte es klirren. Dann kam er zurück, in seiner Hand eines der Schwerter, die von der blutigen Schlacht übrig geblieben waren. Es war rostig und sicherlich stumpf, doch jemanden verletzen konnte man damit allemal. Er richtete die Spitze zuerst auf Doro, dann nacheinander auf jedes Mitglied ihrer neuen Gefolgschaft. »Wer Bastian etwas antun möchte«, sagte er und betonte dabei jedes Wort, »muss zuerst an mir vorbei.«
Niemand rührte sich. Nathan und Ralf wechselten bestürzte Blicke, als Doro sie auffordernd ansah.
»Scheiße«, fluchte Georg. »Dass wir hier echte Schwerter haben, hätte mir vorhin auch einfallen können.«
»Er wendet eine der Waffen, die Tristram und die Seinen getötet haben, ein weiteres Mal gegen ihn«, sagte Doro Unheil verkündend. »Dafür werden wir alle bezahlen müssen.«
Wieder einmal brach Alma in Wehklagen aus.
»Halt die Klappe!«, brüllte Georg und einen Moment lang sah es so aus, als wollte er sie schlagen. Ihr Schluchzen verebbte zu einem Wimmern, sie kauerte sich neben Arno zusammen, der wieder halb bei Bewusstsein war und leise stöhnte.
Bastian war noch nie so ratlos gewesen, hatte sich noch nie so bedroht gefühlt. Gleichzeitig wuchs in ihm das Gefühl, an der Situation der Gruppe schuld zu sein, was völlig absurd war, trotzdem ließ es sich nicht abschütteln.
Hör auf damit, sagte er sich selbst. Das ist verrückt. Nicht du willst ihnen etwas antun, sondern sie dir.
Wenn sie es wirklich über sich brachten. Im Moment sahen sie verängstigt aus, nur Georg und Ralf wirkten entschlossen. Das schien auch Doro zu spüren. Sie drehte sich zu den am Feuer Sitzenden um.
»Bevor ich weiter meine Kräfte sinnlos vergeude, möchte ich euch etwas fragen, und ich bitte euch, vollkommen ehrlich zu sein. Wer von euch hält es für möglich, dass der Fluch wirklich existiert?«
Georgs Hand ging hoch, danach Lisbeths, allerdings zögernder. Alma streckte ihren Arm ebenfalls in die Höhe, danach Nathan, Carina, Ralf und Mona.
»Ihr seid unzurechnungsfähig«, sagte Steinchen. »Habt ihr euch schon einmal überlegt, dass mein Hautausschlag vielleicht von einer giftigen Pflanze kommen könnte? Oben im Wald wächst so viel Zeug, das keiner kennt. Und dass der Felsbrocken durch die ständigen Regenfälle und den Schlamm ins Rutschen gekommen ist?« Er schnaufte verächtlich. »Ein Fluch. Ihr Idioten.«
»Was ist mit den Gräbern? Haben die sich von selbst ausgehoben?« So leicht gab Doro sich nicht geschlagen. »Und wohin sind unsere Freunde verschwunden? Auch durch den Schlamm ins Rutschen gekommen?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir am Ende für alles eine ganz logische Erklärung finden werden.«
»Nein«, erwiderte Doro. »Das werden wir nicht. Wir werden nur tot sein.«
»Also besser Bastian umbringen, ja?«, rief Paul und vollführte mit dem Schwert ein paar drohende Bewegungen, wirbelte es herum, wie er es vor ein paar Wochen während des Schaukampfs getan hatte. Unvermittelt hielt er inne. Ein Leuchten ging über sein Gesicht. »Das ist es«, flüsterte er.
Oh bitte, hab eine Idee, flehte Bastian stumm. Der Gedanke an den Tod war wie ein riesiges schwarzes Loch, aus dem ihm Angst entgegenbrüllte. Er fühlte Iris' Hand an seiner, ihre Finger strichen federleicht über seine.
Paul hob die Arme, wartete, bis alle ihre Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatten. »Wir sind Saeculum«, begann er und die Andeutung eines Lächelns stand in seinem Gesicht. »Wir spielen hier nach mittelalterlichen Regeln, nicht? Tristram und Ludolf
Weitere Kostenlose Bücher