Saeculum
kniete vor Tristrams Kopf nieder. »Wir danken dir, dass du uns unsere Freunde zurückgegeben hast. Nun zeig uns den Weg nach draußen, gib uns unser Leben zurück. Bitte.«
»Sie spinnt, oder?« Warze vollführte mit seinem Zeigefinger kreisende Bewegungen vor seiner Stirn. »Ach, egal. Hier ist Licht und sogar ein Feuer! Steinchen!«
Er ließ die Gruft hinter sich und fiel seinem dicken Freund um den Hals, setzte sich neben ihn ans Feuer, das Steinchen offenbar tapfer am Brennen gehalten hatte.
Das zweite freudige Wiedersehen fand zwischen Sandra und Lisbeth statt, die fast über den Saum ihres Kleides stolperte, als sie auf die Gruft zulief. »Du lebst noch, ich bin so froh!«
»Ich auch«, flüsterte Sandra. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich da wieder rauskomme.«
»Was ist passiert?« Lisbeth führte Sandra zum Feuer. »Es war Tristram, nicht? Er hat euch … geholt. Gefangen.« Ihre Hand wanderte unruhig zu ihrer Brust.
»Quatsch!«, rief Warze. »Es war jemand mit einem schweren Gegenstand, den er uns über den Schädel gezogen hat. Irgendein verdammtes Arschloch, aber ganz sicher kein Knochenmann.«
»Psssst!«
»Wieso denn, Doro? Der Gehörgang des Kerls, mit dem du dich gerade unterhältst, ist längst verwittert. Von Würmern gefressen, so leid es mir tut. Frag Bastian.«
Ein schlechtes Stichwort. Er duckte sich unwillkürlich in die Schatten der schweren Mauern, als alle Aufmerksamkeit sich wieder ihm zuwandte.
»Nun«, sagte Georg. »Da gibt es noch etwas, das ihr drei nicht wisst. Wir haben euch zwar aus euren Löchern befreit, aber das war es dann leider auch schon. Wir dachten, wir hätten einen Ausgang gefunden, aber es war bloß euer Gefängnis. Das heißt, hier ist Endstation. Wir kommen aus diesem Keller nicht mehr raus.«
Warze schüttelte irritiert den Kopf. »Wieso denn? Irgendwie müsst ihr ja auch reingekommen sein.«
Sie berichteten ihm alles, sprachen gleichzeitig, redeten durcheinander. Georg las ein weiteres Mal den Reim vor, den Bastian in der Gruft gefunden hatte.
»Ihr seid Brüder? Wirklich?« In Warzes Augen stand ehrliche Fassungslosigkeit.
»Das sind sie«, sagte Doro düster. »Damit ergibt der alte Spruch auch Sinn. Tristram will seine Rache und Bastian muss an Ludolfs Stelle treten.«
Das Entsetzen, das Bastian von Sandra erwartet hatte, blieb aus. Es kam fast gar keine Reaktion von ihr, als wäre sie nicht ganz bei der Sache. Erst als sie sah, dass Paul heftig den Kopf schüttelte, tat sie es ihm nach. Lars dagegen schien nicht an die Ernsthaftigkeit von Doros Worten zu glauben.
»Also, ich töte ihn nicht«, sagte er und rollte sich zusammen, als würde er schlafen wollen.
Einzig und allein Warze war ernsthaft empört. »Ihr wollt ein Menschenopfer bringen?«
»Nein, wir wollen nicht. Wir müssen. « Mittlerweile hörte Doro sich an wie eine geduldige Lehrerin, die ihrer Klasse ein Problem doppelt und dreifach erklären muss. »Oder wir finden uns damit ab, alle hier zu sterben. Sieh mal, wenn es nichts bringt und wir trotzdem keinen Ausgang finden, hat Bastian es am ehesten hinter sich. Und am gnädigsten.«
»Das meinst du nicht ernst.«
»Doch, tut sie«, sagte Steinchen. »Und es sind fast alle einverstanden.«
Wieder kein Protest der anderen.
Paul prüfte jeden von ihnen mit Blicken, bevor er in die Mitte trat. »Wisst ihr was? Es ist mir egal, ob ihr euch vor Angst in die Hosen macht. Bastian abzuschlachten, kommt nicht infrage. Ich werde es nicht zulassen.«
»Du«, fauchte Doro, »hältst dich da raus! Du hattest deine Chance und hast sie nicht genutzt. Weißt du noch, was du gesagt hast? Du würdest uns nicht im Weg stehen, wenn wir tun, was nötig ist.«
Sie setzte sich schwerfällig hin, stützte ihren Kopf mit den Händen. »Von mir aus können wir auch hier verrecken, mir ist es egal. Mein Leben ist diesmal nicht so erfüllend, dass ich nicht gern in die nächste Inkarnation übergehen würde.« Sie sah hoch, lächelte Bastian an. »Ich hatte mich damit abgefunden, dass der Fluch uns töten wird. Schon vor Tagen. Aber alle anderen haben große Probleme damit, loszulassen. Sieh dir nur Alma an. Sie ist nicht bereit.«
»Du wirst es nicht glauben, aber das bin ich ebenfalls nicht«, sagte Bastian scharf.
Warze konnte gar nicht mehr mit dem Kopfschütteln aufhören. »Der Fluch! Hat niemand von euch daran gedacht, dass möglicherweise ganz banale Dinge hinter allem stecken? Echte Mistkerle, die uns eins überziehen und dann einsperren?
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