Saeculum
bringen, ausgerechnet in dir einen Konkurrenten zu finden, mein Freund.«
Steinchen hatte sein aktuelles Spiel-Ich Kuno getauft. »Genannt Kuno vom Fass, das könnt ihr euch merken, oder? Kuno war früher mal Söldner und ist nach wie vor ziemlich gut mit dem Schwert, schlachtet aber nur noch Hühner und Täubchen ab. Außer, einer seiner Gäste wird frech. Ihr werdet Kuno mögen, denn er wird euch füttern.« Er schnalzte aufmunternd mit der Zunge. »Aber nun habe ich mich unverschämt in den Vordergrund gedrängt. Bastian - du bist dran!«
Sie sahen ihn alle an und er holte Luft. »Ich habe anfangs ziemlich rumgegrübelt, ich fand es schon gar nicht so leicht, nur einen Namen zu finden.« Wertvolle nächtliche Lernstunden waren dabei draufgegangen. Der Name musste zu der Zeit passen und sollte nicht völlig abartig klingen. Nach stundenlanger Suche im Internet war Bastian auf Tomen gestoßen, eine alte Form von Thomas, das hatte sich wie ein Treffer angefühlt. Jetzt zeigte sich auch Steinchen angetan.
»Tomen! Ausgezeichnet. Hört sich an wie erfunden und ist doch ganz authentisch. Und, Tomen, wie lautet Euer voller Name? Was ist Euer Handwerk? Was tut Ihr, um Euer Geldsäckel zu füllen?«
Wie immer, wenn Steinchen begann, »mittelalterlich« zu sprechen, fand Bastian es gleichzeitig amüsant und peinlich.
»Ich bin Heiler, ich suche nach medizinischem Wissen … und äh … nach Meistern der Heilkunst, die mich unterweisen können.« Na also, er bekam den Ton doch schon ganz gut hin. Steinchen nickte anerkennend.
»Gar nicht so weit weg vom wahren Leben, hm? Nun denn. Habt Ihr auch einen Beinamen?«
Das hatte Bastian sich nicht überlegt. »Nein, leider. Aber ich habe ja noch ein wenig Zeit …«
»Tomen Sehnenschneider«, schlug Iris vor. Sie saß mit geschlossenen Augen da, tief in ihren Sitz versunken. Ihr Haar stand in alle Richtungen vom Kopf ab, um ihre Mundwinkel spielte ein Lächeln. »Tomen Knochenrichter.«
»Sehnenschneider gefällt mir«, erklärte Steinchen. »Ein Name, würdig eines Mannes, der einmal ein großer Medicus werden wird!«
»Hört, hört!«, warf Paul ein. Er sah von einem zum anderen, bevor sein Blick an Iris hängen blieb.
»Wie steht's mit dir? Wieder eine diebische Bardin?«
»Klar. Immer noch die gleiche Cecilia.«
Cecilia statt Iris. Kuno statt Steinchen. Das ging gerade noch, aber Bastian machte sich ernsthaft Sorgen, ob er die Spielnamen von Leuten würde behalten können, deren echte Namen er kaum kannte. Kuno. Cecilia. Und Sandra nannte sich Doradea.
Das Eintreten des Schaffners unterbrach sie, alle zückten ihre Fahrkarten. Danach nahm keiner den Faden wieder auf. Sandra starrte gedankenverloren auf ihre Hände, Steinchen aß, Paul lächelte versonnen und sah aus dem Fenster.
»Doro«, sagte Bastian ins allgemeine Schweigen hinein. »Ist sie tatsächlich so abergläubisch? Und wenn ja, glaubt ihr, dieser Trip ist gut für sie?«
»Sie hält sich für eine Hexe. Eine echte«, erklärte Sandra. »In jedem Wald gibt es nachts Geräusche, aber mit Doro geht die Fantasie durch und sie denkt an Geister, dann heult der Wind und sie hört darin das Geschrei von verlorenen Seelen. Im letzten Jahr war das jedenfalls so.«
»Ist auch meine Schuld gewesen«, gestand Paul. »Ich hatte in einem alten Buch eine tolle, gruselige Sage gefunden, die aus der Gegend stammt. Dann kam ich abends verkleidet als alter Seher ins Lager, um sie zu erzählen, kurz bevor es dunkel wurde. Seitdem geht sie Doro nicht mehr aus dem Kopf. Sie hat sie später nachgelesen und hat festgestellt, dass der Schauplatz der Geschichte ziemlich genau mit unserem Spielort übereinstimmt. Na ja, ich denke, sie beruhigt sich wieder.«
Hoffentlich, dachte Bastian. »Was ist das für eine Sage? Ich meine, wovon handelt sie?«
»Von Ungerechtigkeit, Betrug und Tod.« Paul legte Gewicht in jedes einzelne Wort. »Wie sehr viele Sagen aus der alten Zeit. Möchtest du sie gern hören?«
»Sicher.«
Damit schien er Paul eine Freude zu machen. Er strahlte in die Runde. »Jemand etwas dagegen?«
»Nicht doch«, murmelte Iris. »Ich steh auf deine Gutenachtgeschichten und Doro ist zum Glück nicht hier.«
»Gut. So lauschet und hört, was sich zugetragen hat in längst vergangenen Tagen! Die Sage, die ich euch erzählen werde, trägt den Titel Die Blutgruft. «
Paul fixierte einen nach dem anderen, an jedem blieb sein Blick für mehrere Sekunden hängen. »In alten Zeiten herrschten die Fürsten von
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