Saeculum
wir können doch nicht …«
Bastian erkannte die Stimmen von Ralf und Nathan, möglicherweise war auch die von Alma darunter. Doros beschwörender Singsang mischte sich dazu, atemlos, als würde sie ein Schluchzen unterdrücken. Dazwischen war ein Scharren und Klirren zu hören, das Bastian nicht einordnen konnte. Metallisch, wie von einem Kampf. Würde gleich wieder jemand schreien?
Mit bebenden Händen fuhr er über den Boden, fühlte, wie seine Decke ihm von den Schultern rutschte - es musste sich doch etwas finden lassen, womit er sich verteidigen konnte, falls …
Da war sein Holzschwert. Er riss es an sich, schlug und stach in die schwarze Luft um sich herum, fand keinen Widerstand, keinen Feind. Erleichtert stieß er die Luft aus seiner Lunge.
Wie hatten die Menschen das früher nur ausgehalten? Ohne Nachttischlampe oder wenigstens Streichhölzer?
Er zog seine Decke höher, wickelte sich fester darin ein und konzentrierte sich auf die Geräusche um ihn herum. Schaben und Scharren. Die Stimmen seiner Freunde, wimmernd, flüsternd. Rodericks Knurren. Schließlich Paul.
»Bleibt liegen. Wer Panik kriegt und in dieser Dunkelheit davonrennt, wird sich nur verletzen. Wir müssen warten, bis es hell wird.« Der Gedanke war quälend. Wie lange konnte das noch dauern? Bastian versuchte, die Zeit zu schätzen, die er geschlafen hatte. Keine Chance. Zwei Stunden, sechs Stunden - alles war möglich. Ob Steinchen seine Schicht schon beendet hatte?
Er drehte den Kopf in alle Richtungen, die Augen weit aufgerissen. Irgendwo hier musste doch die Kerze der Wache flackern. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder. Kein Unterschied, zur Hölle. Auf gut Glück kroch er auf allen vieren los. Er hatte keine Ahnung, in welche Richtung er sich fortbewegte, und fürchtete ständig, mit dem Kopf gegen einen der Buckelsteine zu knallen.
Vortasten mit der Hand. Da war nur Wiese, kalt und feucht. Er kroch weiter, irgendwo musste die Wache sein, wenn nur wenigstens ein Fitzelchen Mond zu sehen »Aaah! Wer ist das? Nein! Hilfe!«
Etwas schlug gegen Bastians Schulter, dann gegen seinen Kopf. Seine rechte Hand hatte sich auf einem Körper abgestützt, der nun panisch reagierte.
»Geh weg! Geh weg!«
»Ich bin es. Bastian, keine Angst!«
Noch ein Schlag.
»He! Hör auf, Nathan, ich tu dir nichts, ich suche nach der Wache. Bist du schon dran gewesen?«
»Nein, mich hat noch keiner geweckt. Verdammt, Mann, ich dachte, mich trifft der Schlag.«
»Entschuldige bitte. Ich wäre dir ausgewichen, aber ich kann überhaupt nichts sehen.«
»Geht mir auch so. Halt dich ein bisschen weiter rechts, ja?«
»Mach ich.« Bastian rieb sich seinen schmerzenden Kopf. »Schlaf weiter.«
Schnauben. »Sehr witzig.«
Er bewegte sich nun noch vorsichtiger voran, bis er die erkaltete Feuerstelle zwar nicht sehen, aber riechen konnte. Er folgte dem holzig-rauchigen Aroma und hatte schließlich etwas Warmes, Bröseliges unter den Fingern. Kohle.
»Steinchen?«, flüsterte er. »Bist du noch wach?«
Rumoren aus der Finsternis. »Ich bin es. Paul. Ich habe ihn schon abgelöst.«
»Wie spät ist es?«
»Keine Ahnung. Die Kerze ist ausgegangen und ich finde Steinchens Zunderzeug nicht. Kann sein, dass meine Schicht längst zu Ende ist. In dieser Finsternis verliert man jedes Zeitgefühl.«
Bastian hörte, wie Paul seine Position veränderte. Gras und Kleidung raschelten. Dann fühlte er eine Hand auf seiner Schulter und zuckte zurück.
»Schon gut, bin nur ich«, sagte Paul. »Setz dich hier hin, da sind keine Disteln.« Er griff nach Bastians Arm.
»Hör mal, wir müssen durchzählen«, sagte Bastian mit gesenkter Stimme. »Irgendwie, ich weiß auch nicht. Aber wenn jemand von uns so geschrien hat, dann - und es muss jemand von uns gewesen sein, oder?«
Er konnte Paul schlucken hören. »Ich hoffe nicht. Manche Tiere, weißt du … manche schreien, das hört sich total menschlich an. Oder - jemand hatte einen Albtraum.«
Möglich. Bastian fühlte, wie die Feuchtigkeit der Wiese durch seine Kleidung drang.
»Wenn wirklich etwas passiert sein sollte -« Pauls Stimme war kaum mehr als ein Hauch. »Ich darf gar nicht daran denken …«
Seine Worte klangen in der Stille nach und projizierten blutige Bilder auf Bastians innere Leinwand. Die Vorstellung, bis zum Morgen warten zu müssen, untätig bleiben und sich fragen zu müssen, ob sie beim Morgengrauen noch alle unversehrt vorfinden würden, war fast unerträglich. Wer weiß, was wir da sehen
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